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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Verbindung gab, die sich schlecht in Worte fassen ließ. Ihre Familie war groß und pflegte einen innigen Umgang, aber trotzdem stach die Zuneigung, die Großvater und Enkelin füreinander empfanden, heraus. Sie war von Anfang an »Arjens Mädchen« gewesen, und daran hatte sich nie etwas geändert.
    Greta nahm ihren Mut zusammen. »Ich möchte dir ›gemeinsame Zeit‹ schenken, Zeit, die nur uns beiden gehört und in der wir tun und lassen, wonach uns der Sinn steht. Großvater und Enkeltochter, wie früher, wenn du mit mir an der Kieler Förde spazieren gegangen bist und mir Seemannslieder beigebracht hast. Oder wenn wir den halben Wochenmarkt leer gekauft haben. Also nichts Außergewöhnliches, darum geht es mir nicht. Ich möchte einfach ein Teil von deinem Leben sein und etwas mit dir erleben, das außerhalb der sonstigen Festtags- und Familienfeiern stattfindet.«
    »Das ist ein ganz wunderbares Geschenk.« Da es kaum etwas gab, das ihren Großvater sprachlos machte, nahm Greta die knappe Erwiderung als Kompliment.
    »Und nur keine Sorge. Ich habe nicht vor, dich komplett in Beschlag zu nehmen – einmal davon abgesehen, dass Anette mir das auch gar nicht durchgehen lassen würde.«
    Endlich fand Arjen sein Lachen wieder. »Da bin ich aber erleichtert. Zwischen zwei willensstarke Rosenboom-Frauen zu geraten würde bestimmt meine Kräfte übersteigen. Allerdings muss ich Anette ein wenig in Schutz nehmen, denn ein alter Kerl wie ich darf sich nun wirklich nicht über Unterstützung beschweren. Ohne ihren unerschöpflichen Tatendrang wären Haus, Garten und das antike Mobiliar – zu dem ich ihrer Meinung nach zweifelsohne zähle – gewiss nicht halb so gut in Schuss. Ich lasse sie gern gewähren, solange es den Nebeneffekt hat, dass deine Mutter nicht in Trübsal verfällt. Nach dem Tod deines Vaters wirkte Anette so verloren, dass ich mir ernsthaft Sorgen gemacht habe.«
    »Das haben wir uns alle«, gestand Greta ein. Doch egal wie es ihr Großvater drehte, es war schwierig zu sagen, ob Anette nun Arjen half oder ob er nicht derjenige war, der ihr ein Zuhause und damit das dringend benötigte Gefühl gab, gebraucht zu werden.
    Arjen lehnte sich auf der Bank zurück und hielt den Zweig des Apfelbaums zwischen den Händen, so behutsam, wie er alles anfasste. Aus dem Haus erklang lautstarkes Gelächter, gefolgt von Gesang. Offenbar stimmte die kirschlikörgetränkte Gesellschaft gerade ein Lied auf Plattdeutsch an, dem erfahrungsgemäß noch weitere folgen würden. Greta war das nur recht, denn so würden sie nicht gestört werden und konnten diesen schönsten Moment seit langem auskosten.
    »Natürlich schätze ich Anettes Fürsorge, und vor allem während der Chemotherapie wegen dieser unangenehmen Knochenmarkgeschichte habe ich sie überaus dringend benötigt«, fuhr Arjen nachdenklich fort. »Nichtsdestotrotz ist es langsam an der Zeit, dass sie sich auf ihr eigenes Leben besinnt. Sie ist noch eine junge Frau und sollte sich nicht hinter Backsteinmauern verkriechen, nur weil sie Angst davor hat, sich zur Abwechslung einmal um ihr eigenes Wohlergehen kümmern zu müssen. Notfalls muss man sie zu ihrem Glück zwingen.«
    Diese Aussage überraschte Greta nun doch. »Wie ich dich kenne, erklärst du Anette wohl kaum aus dem Blauen heraus für flügge, nachdem du jahrelang geduldet hast, dass sie wegen deiner gefährdeten Gesundheit salzfrei kocht und den Politikteil aus der Tageszeitung klaut, damit du dich nicht schon beim Frühstück aufregst.«
    »Vergiss die selbstgestrickten Schlafsocken nicht, die sie mir sogar im Hochsommer aufs Kopfkissen legt, damit ich mir bloß keine Lungenentzündung hole.« Der Schalk auf Arjens Gesicht ließ ihn für einige Sekunden jung und unbeschwert aussehen.
    Unwillkürlich kamen Greta Schwarzweißaufnahmen in einem zerfledderten Fotoalbum in den Sinn, das sie durch verregnete Nachmittage begleitet hatte. Die meisten Fotografien zeigten den Medizinstudenten Rosenboom mit der für die 1950er typischen Haartolle. Von dieser Lebensphase sprach ihr Großvater bevorzugt. Von dem Kind, das er einst gewesen war, gab es hingegen nur eine einzige abgegriffene Aufnahme, auf der er ungefähr zehn oder zwölf Jahre alt gewesen sein mochte. Darauf beschirmte ein molliger Junge seine Augen mit der Hand, als würde ihn die Sonne blenden. Nur dass die Hand keinen Schatten warf und sein Gesicht deshalb deutlich zu erkennen war: ein schmaler Mund im Kontrast zu den weichen Zügen. Von der für

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