Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Hingabe pflegen, schon allein weil er ein Geistlicher ist.«
Dr. Böhmer nahm seinen Hut, auch wenn er ihn bei dieser Wärme sichtlich ungern aufsetzte. Als Arjen ihn zum Wagen begleitete, schalt er sich, dass er Jörg Claußen nicht hineingebeten hatte, wo doch auf dem Vorhof die Mittagsluft brannte. Doch es war gar nicht Jörg Claußen, der eine Zigarette rauchend neben dem Lieferwagen stand, sondern Ole Ennenhof neben einem Vorarbeiter.
»Was machst du denn hier?«, fragte Arjen verblüfft.
»Warten. Schon viel zu lange übrigens. Ich muss nämlich noch was Dringendes in Aurich erledigen und habe schon viel zu viel Zeit bei euch auf dem Hof vertrödelt. Wenn der Herr Doktor also so weit wäre?«
Während Dr. Böhmer ächzend in den Führerraum des Lieferwagens kletterte, trat Arjen neben Ole. »Ich dachte, du hättest eine Verabredung?«
»Tatsächlich?« Ole grinste. »Davon weiß ich ja gar nichts. Ich war den ganzen Tag durchgehend verplant, hatte keine freie Minute. Aber an deiner Stelle würde ich mir darüber keine Gedanken machen, hast ja schließlich selbst auch was Besseres zu tun, als dir den Kopf über solcher Fantastereien zu zerbrechen. Steht wohl nicht zum Besten mit dem alten Eisenbeißer Thaisen? Na, war eh höchste Zeit, dass der sein Amt aufgibt. Ein paar Leute weniger auf Beekensiel … Das wird der Insel guttun.«
Arjen wartete nicht ab, welche Unverschämtheiten Ole noch zu bieten hatte, sondern lief zu Thaisens Fahrrad, das an der Hauswand lehnte. Bis ganz zum Kap würde er damit nicht kommen, aber vielleicht kam er trotzdem noch pünktlich. Falls er sein ganzes Glück nicht bereits für seinen Vater aufgebraucht hatte.
Die Mittagssonne hatte den Sand zum Glühen gebracht, der nun in Arjens Handflächen biss und in seine Schuhe drang, während er die Düne hochkletterte, verschwitzt und vollkommen außer Atem. Der Himmel war so strahlend blau, dass es ihm in den Augen schmerzte. Die Luft stand und verklebte ihm mit einer viel zu salzigen Note die Atemwege. Das Verlangen, stehen zu bleiben und sich die stechende Seite zu halten, wurde immer stärker, und trotzdem zwang Arjen seine Glieder, noch schneller voranzukommen. Das Bild von Ole Ennenhofs siegesgewissem Grinsen verfolgte ihn und trieb ihn an. Jeden Augenblick rechnete er damit, einen Schrei zu hören. Einen Schrei aus Verzweiflung, Demütigung oder Schmerz. Den ganzen Weg über hatten ihn Bilder heimgesucht, was Ruben am Kap wohl erwartet hatte. Als er endlich den Dünenkamm überwand, sah er, dass seine schlimmste Befürchtung sich bewahrheitet hatte.
Ruben lag reglos nahe der Wasserkante, die kommende Flut leckte bereits nach ihm. Er lag auf der Seite, das eine Bein angewinkelt, als würde er schlafen.
Nein, das stimmte nicht. Das redete Arjen sich ein, während seine Augen ihm etwas ganz anderes zeigten. So legte sich niemand hin, und so stürzte man auch nicht. Rubens Körper sah aus wie hingeworfen, als habe er bereits keine Macht mehr über seine Glieder gehabt, während er fiel. Weder Macht noch Bewusstsein.
Während Arjen noch glaubte, reglos auf dem Dünenkamm zu stehen, festgefroren wie in einem bösen Traum, rannte er in Wirklichkeit bereits zum Strand hinab. Erst als er ins Schlittern kam, bemerkte er es, ohne sich jedoch weiter darum zu kümmern. Er konnte nur auf Ruben starren, wobei er auf die kleinste Regung lauerte. Nur ein Zucken, mehr brauchte es nicht, um diese ohrenbetäubende Stille zu beenden, die sich in seinem Inneren breitmachte und ihn zu zerreißen drohte. Je näher er kam, desto deutlicher wurde die unnatürliche Haltung, in der Ruben lag. Andererseits klebten verschwitzte Haarsträhnen an seiner Schläfe, und an einigen frischen Schnitten am Unterarm, die wohl vom Dünengras stammten, hatte sich Sand mit rot leuchtendem Blut vermischt. Alles Beweise fürs Leben, oder nicht?
Arjen war seinem Freund so nah, dass er sich bereits auf die Knie fallen lassen wollte. Bevor es jedoch so weit kam, wurde er grob am Arm herumgerissen.
Ein Mann, dessen Visage Arjen lediglich vom Sehen kannte, hielt ihn mit entschlossener Miene gepackt. Dafür war die bullige Gestalt neben ihm überaus vertraut.
»Du bist spät dran«, begrüßte ihn Haro Flennigs, der mit einem weiteren unbekannten Mann an seiner Seite auf Arjen zutrat. »Zehn Minuten früher und wir hätten noch einen Zeugen für den Unfall gehabt.«
»Unfall?«, echote Arjen.
»Dein Freund hier«, Haro deutete auf den immer noch reglos daliegenden
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