Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Achseln. »Agnes hat sich aus dem Kindergottesdienst geschlichen und sich in der Kaffeeküche mit Keksen überfressen. Sie ist echt eine kleine Raupe. Und da Till mit seiner pingeligen Art nicht so gut damit klarkommt, wenn einem Kind übel ist und es alles vollspuckt, bin ich jetzt erst weggekommen. Wie ist es denn so gelaufen?«
»Arjen ist als glatter Punktsieger aus dem Schaukampf hervorgegangen. Er hat unmissverständlich klargestellt, dass er diese Reise antreten wird. Nicht einmal Tante Beeke hat während des Mittagessens noch einen Mucks von sich gegeben.«
Wencke nahm sich die Zeit, ihre Jacke in Ruhe auszuziehen und sie sorgfältig über eine Sessellehne zu hängen. Ihr Gesicht wirkte zwar ausdruckslos, doch ihr verkniffener Mund verriet den Aufruhr, der sich in ihr aufbaute. »Raus mit der Sprache: Welchen Floh hast du Arjen ins Ohr gesetzt, dass er sich so aufführt? Es ist absolut nicht normal für Großvater, Beeke anzufahren, egal wie anstrengend sie ist. Und Mama bekommt immer ihren Willen, das ist ein ungeschriebenes Gesetz in diesem Haus. Bis du gestern mit deinem Liebeskummer reingeschneit bist, war alles Friede, Freude, Eierkuchen in unserer Familie, Großvater hat nicht ein Sterbenswörtchen über seine Reisesehnsucht verloren oder gar angedeutet, dass seine Liebsten ihn erdrücken. Erzähl mir also ja nicht, dass ihm das spontan beim Abendessen eingefallen ist.«
Greta stieg die Hitze den Nacken hoch und breitete sich bis auf ihre Wangen aus. Wencke hatte so viele Anschuldigungen ausgesprochen, dass sie auf die Schnelle nicht entscheiden konnte, wo sie mit ihrer Verteidigung ansetzen sollte. Das war auch gar nicht nötig, denn ihre Schwester war noch lange nicht fertig.
»Du bist so ein egoistisches Stück.« Wenckes Zorn ließ ihre grünen Augen funkeln. »Einfach Großvater in Beschlag zu nehmen, nur weil du dich nach der Trennung von Erik verlassen fühlst. Was das für uns bedeutet, ist dir völlig gleichgültig. Dabei weißt du genau, wie fixiert Anette auf Arjen ist. Oder wer, glaubst du, hat seit Papas Tod als Puffer zwischen uns und Mama gewirkt? Wenn Großvater sich nicht bereitwillig von ihr umsorgen lassen würde, dann hätten wir beide keine ruhige Sekunde gehabt, das kann ich dir versichern. Wenn er demnächst weg ist, was glaubst du wohl, wer darunter wird leiden müssen? Du ja nicht, schließlich wirst du lustig mit ihm die Küste entlangtingeln.«
Langsam riss Greta der Geduldsfaden. »Das ganze Theater, das ihr veranstaltet, ist vollkommen überzogen. Führ dir doch einmal vor Augen, worin der angeblich absurde und böswillige Plan besteht: Ein Großvater will mit seiner Enkeltochter eine Reise unternehmen, die ihm über alle Maßen am Herzen liegt. Es tut mir leid, dass Anette deswegen aufgelöst ist. Und es tut mir auch leid, dass du dir nun vermutlich tagein, tagaus ihren Kummer anhören musst. Das ändert jedoch nichts an unserer durchaus normalen Absicht.«
»Natürlich nicht! Schließlich passt Großvaters Idee dir ja bestens in den Kram. Warum sich seinen Problemen stellen, wenn man auch weglaufen kann? Auf diese Weise kannst du Erik aus dem Weg gehen und deiner aufdringlichen Familie gleich mit. Alles dreht sich immer nur um dich. Kein Wunder, dass Erik die Nähe zu einer anderen Frau gesucht hat.«
Dieser Seitenhieb kam nicht nur unerwartet, sondern zeigte, dass ihre Schwester aus dem Gespräch am Vorabend die falschen Schlüsse gezogen hatte, Schlüsse, die perfekt zu Wenckes Weltbild passten und herzlich wenig mit Greta zu tun hatten.
»Du glaubst, ich habe mich von Erik getrennt, weil er eine Affäre hat? Vermutlich ist das ja der Standardtrennungsgrund in deinen Promiblättchen, aber echte Beziehungen sind schon etwas komplizierter. Ich möchte meinem Partner gern auf Augenhöhe begegnen, von ihm respektiert werden und nicht bloß seine Hormone in Wallung bringen. Übrigens hat Erik stets so getan, als würde er das genauso sehen wie ich. ›Du bist nicht wie diese Karrierefrauen, die nur ihren Job kennen und alles andere ausblenden‹, hat er mir bei jeder Gelegenheit erzählt. ›Und du bist auch nicht wie die Frauen, die von meinen Geschäftspartnern abends zum Essen mitgebracht werden: entweder vom Typ perfekte Ehefrau oder aufgestylt und naiv bis zum Gehtnichtmehr. Dich kann man in keine Schublade stecken, Greta, du hast deinen eigenen Kopf, und genau das liebe ich an dir.‹ Klingt schmeichelhaft und nach einer richtig tollen Beziehung, oder?« Allein
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