Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
nächste, obwohl es ihr zunehmend wichtig war, einen guten Eindruck zu machen.
»Als welchen Musiktyp würdest du mich denn eher einschätzen?«, fragte Mattes.
»Jemand, der es durchdachter mag und nicht so gefühlvoll und schwermütig.«
»Fado ist nicht ausschließlich schwermütig.«
»Das weiß ich, ich mag diese Musik nämlich auch sehr gern. Aber in erster Linie zielt sie eben auf das Gefühl, auf die Seele des Zuhörers.«
»Und so etwas Gefühlsbetontes passt demnach nicht zu mir. Mal schauen, ob ich nicht irgendwo eine Schallplatte vom Beekensieler Shantychor habe, der die harten Fischersleut besingt, die nur sentimental werden, wenn es um ihre Liebe zur See geht. Das würde vermutlich eher hinhauen, oder?«
Während sie einander weiter aufzogen, nahm Mattes ihr die Jacke ab und führte sie in eine Wohnstube mit krummen Wänden und einer so niedrigen Decke, dass er den Kopf einziehen musste, um nicht anzustoßen. Augenblicklich erkannte Greta den Einrichtungsstil des Sturmwind wieder. Es war wie eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert, als man jedem einzelnen Stück in einer gutbürgerlichen Wohnung noch ansah, dass es handgemacht war. Und trotzdem wirkte nichts wie eine bemühte Kopie jener Zeit, dafür war der Stil dann doch zu eigen. Mattes’ Kunst bestand darin, das Ursprüngliche eines Raumes freizulegen und zugleich charakteristische Elemente Beekensiels einzubringen.
»Einen Moment bitte«, sagte Mattes, bevor er in einen angrenzenden Raum verschwand, in dem Greta die Küche vermutete.
Als sie das Geräusch hörte, das seine nackten Fußsohlen auf den Fliesen machten, musste sie schmunzeln. Ihr gefiel dieser private, leicht zerzauste Mattes. Neugierig blickte sie sich um. Vor dem Wandkamin, in dem ein Feuer brannte, stand ein Biedermeiersofa mit einem blaugestreiften Bezug, das ausgesprochen einladend aussah. Das Kernstück in der Wohnstube bildeten jedoch ein Holztisch, in dessen Mitte Schieferplatten eingelassen waren, und moderne Stühle. Die hatte Greta schon einmal gesehen, in einer von Eriks Architekturzeitschriften, die er stets wie hingeworfen auf dem Wohnzimmertisch platzierte, um Gäste zu beeindrucken. Neben einem halbvollen Rotweinglas lag ein aufgeschlagener Skizzenblock, der mit Sicherheit nicht drapiert worden war, um seinen Besitzer besonders weltgewandt aussehen zu lassen. Obwohl es Greta fast umbrachte, hielt sie den nötigen Abstand, um nicht zu erkennen, was dort mit Bleistift festgehalten worden war – schließlich war sie schon weit genug in Mattes’ Privatsphäre eingedrungen, und das ohne Einladung. Bevor sie doch noch schwach wurde, kehrte Mattes bereits mit einem Rotweinglas und einer geöffneten Flasche zurück, nur um mitten im Raum stehen zu bleiben.
»Mir fällt gerade ein, dass ich vielleicht mal hätte fragen sollen, ob du überhaupt Rotwein trinkst. Wie du siehst, lasse ich keine Gelegenheit ungenutzt, um mein Image als Gästeschreck zu untermauern.«
Offenbar war Greta nicht die Einzige, die sich den Kopf darüber zerbrach, was für einen Eindruck sie machte. Dabei waren sie beide in einem Alter, in dem sie diese Art von Unsicherheit schon lange hinter sich gelassen haben sollten … Aber vielleicht war das ja gerade ein gutes Zeichen? Greta gab sich einen Ruck. Schließlich war sie nicht hierhergekommen, um mit Mattes Ennenhof zu flirten, sondern um ihn um seine Unterstützung zu bitten.
»Normalerweise bin ich eher eine Biertrinkerin, aber bei diesem Wetter ist ein Glas Rotwein genau das Richtige. Ich will dich auch gar nicht lange aufhalten, allein schon wegen meines Großvaters.«
»Ich habe von Trude gehört, dass es ihm mittlerweile zwar besser geht, aber er nach wie vor einen angeschlagenen Eindruck macht.«
Während Greta zustimmte, baute sich hinter ihren Augen ein verdächtiger Druck auf. Arjens Erkrankung setzte ihr mehr zu, als sie sich einzugestehen bereit war. »Mein Großvater behauptet zwar, es sei nur eine Erkältung, die er schon so gut wie überwunden habe, aber ich mache mir trotzdem Sorgen. Er wirkt so durchscheinend, und damit meine ich nicht nur seine Blässe, die jeden Tag mehr unter der weichenden Sonnenbräune hervortritt. Wahrscheinlich klingt es verrückt, aber auf mich macht er den Eindruck, als würde er langsam entschwinden … Ich würde mir wünschen, dass er nach Hause zurückkehrt, aber ich weiß, dass er das im Augenblick noch nicht kann.«
»Wegen dieses Sommers, von dem du erzählt hast«, half Mattes ihr aus, als
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