Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
Vom Netzwerk:
Trotzdem muss ich damit leben, dass ich ihre Beschwerden damals zu leicht genommen und nicht erkannt habe, dass sie sich mit Typhus infiziert hatte, jener schrecklichen Krankheit, die sie mir viel zu früh genommen hat.
    Mary war es, die den Zwischenfall mit dem Rothaarigen zurSprache brachte, kurz nachdem die Kutsche sich in Bewegung gesetzt hatte. »Hast du diesen Mann eben gesehen?«, fragte sie.
    »Am Bahnsteig? Ja, den hab ich gesehen. Hat er mit dir gesprochen?«
    »Er hat mich beim Namen genannt.«
    Jetzt war ich verblüfft. »Was hat er gesagt?«
    »Nichts. Nur: Guten Morgen, Mrs. Watson. Er war sehr unhöflich. Wahrscheinlich ein Tagelöhner, würde ich sagen. Und dann hat er mir das hier in die Hand gedrückt.«
    Sie hielt mir einen kleinen Stoffbeutel hin, den sie die ganze Zeit umklammert, aber über der Freude unseres Wiedersehens erst einmal vergessen hatte, als wir eilig zur Kutsche hinuntergingen. Ich nahm ihn und spürte, dass etwas Schweres darin war. Zuerst dachte ich, es wären Münzen, denn ich hörte Metall klirren, aber als ich den Inhalt in meine Hand kippte, fand ich drei Nägel.
    »Was soll das bedeuten?«, fragte ich. »Hat der Mann sonst nichts gesagt? Kannst du ihn beschreiben?«
    »Nicht wirklich, Liebling. Ich habe ihn kaum angesehen, denn ich habe ja nach dir gesucht. Er hatte kastanienfarbenes Haar. Und ein schmutziges, unrasiertes Gesicht. Ist das wichtig?«
    »Hat er sonst wirklich nichts weiter gesagt? Hat er Geld verlangt?«
    »Wie ich es gesagt habe: Er hat mich beim Namen genannt, sonst nichts.«
    »Aber warum sollte dir jemand einen Beutel voller Nägel geben?« Ich hatte es kaum ausgesprochen, da hatte ich endlich begriffen. »The Bag of Nails!« , rief ich. »Natürlich!«
    »Wie bitte, Liebling?«
    »Ich glaube, du bist gerade Sherlock Holmes begegnet, mein Schatz!«
    »So hat der Kerl aber nicht ausgesehen.«
    »Das war genau seine Absicht.«
    »Und dieser Beutel bedeutet etwas?«
    Allerdings. Die Botschaft war klar: Holmes wollte, dass ich in eine der Kneipen ging, in die wir auf der Suche nach Ross gekommen waren. Beide trugen denselben Namen , aber welche hatte er gemeint? Wahrscheinlich war es nicht die zweite, denn da hatte Sally Dixon gearbeitet, und das wusste die Polizei. Also die erste in der Edge Lane. Holmes wollte nicht gesehen werden, sonst hätte er sich nicht auf diese Weise bei mir gemeldet. Er war verkleidet gewesen, und selbst wenn jemand bemerkt hätte, dass er sich Mary genähert hatte, hätte er bei ihr oder mir höchstens einen Beutel mit Nägeln gefunden. Dass es sich dabei um eine Nachricht handelte, konnte nur ich wissen.
    »Liebling, ich fürchte, ich muss dich gleich wieder allein lassen, wenn wir zu Hause sind«, sagte er.
    »Du bist doch nicht in Gefahr, John?«
    »Ich hoffe, nicht.«
    Sie seufzte. »Manchmal denke ich, du liebst Mr. Holmes mehr als mich.« Aber als sie mein Gesicht sah, lachte sie und tätschelte mir die Hand. »Das war nur ein Scherz. Und du brauchst auch nicht den ganzen Weg nach Kensington mit mir zu fahren. Wir halten an der nächsten Ecke. Ich bringe mich allein nach Hause, und der Kutscher trägt mein Gepäck rein.« Als ich zögerte, sah sie mich ernst an und sagte: »Geh nur, John. Wenn er solche Tricks anwenden musste, um Kontakt mit dir aufzunehmen, dann ist er in großen Schwierigkeiten und braucht dich sehr dringend, so wie er dich immer gebraucht hat. Du darfst ihn nicht warten lassen.«
    Und so trennten sich unsere Wege gleich wieder. Ich nahm mein Leben in beide Hände und hätte es beinahe verloren, denn als ich am Strand in den Verkehr hinaussprang, wäre ichfast von einem Pferdebus überrollt worden. Mein überhasteter Abgang aus der Droschke hatte damit zu tun, dass Holmes seine Nachricht offenbar deshalb auf diesem Umweg geschickt hatte, weil er befürchtete, dass ich beobachtet würde. Wenn das zutraf, musste ich also meine Verfolger abschütteln, bevor ich ihn traf, sonst brachte ich ihn in Gefahr.
    Ich schob mich zwischen den vielen Gefährten hindurch, die in beiden Richtungen über den Strand rollten, und als ich den Bürgersteig auf der anderen Seite erreicht hatte, sah ich mich noch einmal um, ob mir jemand zu folgen versuchte. Dann kehrte ich in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren.
    Etwa dreißig Minuten später erreichte ich mit ein paar kleineren Umwegen jenen jämmerlich verlassenen Teil von Shoreditch, wo sich das Bag of Nails befand. Ich erinnerte mich noch gut an das Lokal. Ein

Weitere Kostenlose Bücher