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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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hässliche, kalte Nacht, und es könnte Ihr Tod sein, wenn Sie nicht direkt hineingehen.«
    Alles, was ich sah, war ein massives, düsteres Haus, dessen Fassade mit Efeu bewachsen und dessen Garten mit Unkraut überwuchert war. Wir waren möglicherweise in Hampstead oder in Hampshire, denn das Grundstück war von einer hohen Mauer und einem schmiedeeisernen Tor umgeben, das sich hinter uns schon geschlossen hatte. Das Gebäude selbst erinnerte an eine Burg mit Zinnen und Wasserspeiern und einem Turm, der über dem Dach in die Dunkelheit ragte. Die Fenster im oberen Stock waren schwarz, aber im Erdgeschoss sah man einige erleuchtete Räume. Die Eingangstür unter dem Vorbau stand offen, aber es war niemand da, um mich zu begrüßen. Selbst an einem hellen Sommernachmittag hätte man so ein Haus nicht gern aufgesucht, aber jetzt wirkte es geradezu einschüchternd. Angetrieben von meinem Begleiter eilte ich durch die Tür, die er gleich hinter mir zuschlug. Es hallte laut in dem dunklen Flur.
    »Hier entlang, Sir.« Er hatte einen Leuchter ergriffen, und ich folgte ihm einen eichengetäfelten Flur hinunter, vorbei an Fenstern aus buntem Glas und einigen Gemälden, die so verrußt waren, dass ich sie nur an den Rahmen als solche erkannte. Schließlich erreichten wir eine Tür. »Hier herein. Ich werde ihm sagen, dass Sie jetzt da sind. Sie werden nicht lange warten müssen. Fassen Sie bitte nichts an. Gehen Sie nirgendwo hin. Üben Sie sich in Zurückhaltung!« Nachdem er mir diese merkwürdigen Anweisungen erteilt hatte, wich er zurück und verschwand.
    Ich befand mich in einer Bibliothek, die durch Kerzen und ein Holzfeuer im Kamin nicht übermäßig hell erleuchtet wurde. Ein dunkler Eichentisch mit mehreren Stühlen stand im Zentrum des Raumes. Es gab zwei von schweren Vorhängen verdeckte Fenster, auf dem Eichenboden lag ein dicker Teppich. Die Bibliothek umfasste mehrere tausend Bände. Die Bücherschränke reichten vom Boden bis an die Decke, und davor gab es eine fest installierte Leiter auf Rädern, die vom einen Ende des Raumes zum anderen geschoben werden konnte. Ich nahm einen der Leuchter vom Tisch und betrachtete einige Buchrücken. Wie es schien, beherrschte der Hausherr mehrere Sprachen, denn es gab nicht nur englische Bücher, sondern auch spanische, französische und sogar deutsche. Er schien sich ebenso für Physik und Biologie wie für Philosophie, Geologie, Geschichte und Mathematik zu interessieren. Romane oder dergleichen sah ich hingegen nicht. Die Auswahl erinnerte mich stark an Sherlock Holmes, sie schien genau seine Interessengebiete widerzuspiegeln. Am Schnitt des Raums, der Form des Kamins und der reich geschmückten hölzernen Decke erkannte ich, dass der Ort, an dem ich mich befand, wohl Anfang des 17. Jahrhunderts zur Zeit von Jakob I. erbaut worden war. Ich folgte den Anweisungen, die man mir gegeben hatte, setzte mich in einen der Sessel vor dem Kamin und streckte meine Händein Richtung des Feuers aus. Für die Wärme war ich sehr dankbar, denn trotz der Decke hatte ich in der Kutsche entsetzlich gefroren.
    Es gab noch eine zweite Tür, die der gegenüberlag, durch die ich gekommen war. Diese öffnete sich plötzlich ohne jede Vorwarnung. Ein Mann trat herein, der so groß und dünn war, dass man meinte, er müsse sich bücken, um nicht an den Rahmen zu stoßen. Er trug eine dunkle Hose, türkische Pantoffeln und eine Samtjacke. Seine Stirn war sehr hoch, seine Augen tief eingesunken, und ich sah, dass er beinahe kahl war. Er bewegte sich langsam, seine dürren Arme hielt er so eng vor der Brust verschränkt, als müsse er seinen Körper auf diese Weise zusammenhalten. Zu meiner Überraschung sah ich hinter ihm ein hell erleuchtetes chemisches Laboratorium, und mir wurde bewusst, dass er dort wohl gearbeitet hatte, während ich auf ihn wartete. Auf einem Tisch standen Reagenzgläser, Retorten, Glasballons, Korbflaschen und einige der modernen Gasbrenner von Robert Bunsen. Zusammen mit dem Hausherrn drang nicht nur das Zischen der Brenner, sondern auch ein starker Chemikaliengeruch aus dem Labor, aber obwohl ich hinsichtlich der Art seiner Experimente sehr neugierig war, hielt ich es doch für besser, nicht danach zu fragen.
    »Dr. Watson«, sagte er. »Ich muss mich sehr entschuldigen, dass Sie warten mussten. Aber es gab da eine heikle Angelegenheit, die ich erst noch zu Ende bringen musste. Hat man Ihnen Wein angeboten? Nein? Das tut mir leid. Underwood ist zwar sehr pflichtbewusst

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