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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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und diskret, aber es fehlt ihm ein wenig an Aufmerksamkeit. Leider kann man sich die Leute in meiner Branche nicht aussuchen. Ich hoffe, er hat Sie wenigstens auf dem Weg hierher gut versorgt?«
    »Er hat mir nicht mal seinen Namen gesagt.«
    »Das wiederum überrascht mich nicht. Ich habe auch nichtdie Absicht, Ihnen meinen zu nennen. Aber es ist schon spät, und wir müssen einiges besprechen. Ich hoffe, Sie werden mit mir dinieren?«
    »Es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, mit Leuten zu Abend zu speisen, die es ablehnen, sich auch nur vorzustellen.«
    »Das kann schon sein. Aber sehen Sie, Dr. Watson, in diesem Haus kann Ihnen alles Mögliche passieren. Es klingt vielleicht ein bisschen melodramatisch, aber de facto sind Sie völlig in meiner Gewalt. Sie wissen nicht, wo Sie sind. Niemand hat Sie herkommen sehen. Wenn Sie diesen Ort nie wieder verlassen würden, wüsste niemand, wo er Sie suchen soll. Ich unterstelle deshalb, dass ein Abendessen mit mir unter den verschiedenen Möglichkeiten eine der angenehmeren ist. Das Essen ist bescheiden, aber die Weine sind gut. Der Tisch ist im Nebenzimmer gedeckt. Bitte folgen Sie mir.«
    Er führte mich zurück auf den Korridor und in den Speisesaal gegenüber, der wahrscheinlich die ganze Breite des Hauses einnahm. Auf der einen Seite war die Empore für die Musikanten, auf der anderen Seite ein gewaltiger offener Kamin. Dazwischen stand ein langer Refektoriumstisch, an dem sicher mehr als vierzig Personen Platz fanden. Man konnte sich gut vorstellen, wie hier in vergangenen Zeiten getafelt wurde, wenn eine große Familie und viele Freunde versammelt waren, das Feuer prasselte und die Musik spielte, während aus der Küche immer wieder neue Speisen gebracht wurden. Aber jetzt war er praktisch leer. Lediglich eine einsame, abgeschirmte Lampe warf einen Lichtkreis auf ein Ende des Tisches, wo eine Karaffe mit Wein, kalter Braten und Weißbrot bereitstanden. Wie es aussah, würden der Hausherr und ich allein speisen, umringt von den Schatten.
    Bedrückt nahm ich meinen Platz ein, spürte aber kaum Appetit. Mein Gastgeber setzte sich mit hängenden Schultern anden Kopf der Tafel, mit dem Rücken zum Feuer. Der Eichenstuhl mit der hohen Lehne bot seiner ungelenken Gestalt wenig Bequemlichkeit.
    »Ich wollte Sie schon lange kennenlernen, Dr. Watson«, sagte er, während er sich bediente. »Es überrascht Sie vielleicht, aber ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Erzählkunst und besitze jede einzelne Ihrer Veröffentlichungen.« Er hatte ein Exemplar des Cornhill Magazine aus der Bibliothek mitgebracht und schlug es jetzt auf dem Tisch auf. »Das hier habe ich gerade zu Ende gelesen, das Abenteuer mit den Blutbuchen. Ich finde, es ist sehr gut geschrieben.«
    Trotz der bizarren Umstände konnte ich eine gewisse Befriedigung über dieses Lob nicht unterdrücken, denn ich fand selbst, dass diese Geschichte mir recht gut geglückt war.
    »Das Schicksal von Miss Hunter«, fuhr mein Gastgeber fort, »war ohne Interesse für mich. Und Jephro Rucastle war offensichtlich ein übles Vieh. Ich fand es bemerkenswert, dass das Mädchen so leichtgläubig war. Aber wie immer hat mich Ihre Beschreibung von Sherlock Holmes und seinen Methoden sehr fasziniert. Schade, dass Sie die sieben verschiedenen Erklärungen des Verbrechens nicht weiter herausgearbeitet haben, die er Ihnen gegenüber erwähnte. Das wäre sicher sehr informativ gewesen. Trotzdem haben Sie der Öffentlichkeit dargelegt, wie ein großer Verstand funktioniert, und schon dafür müssen wir Ihnen alle sehr dankbar sein. Etwas Wein?«
    »Vielen Dank.«
    Er schenkte zwei Gläser ein, dann fuhr er fort. »Es ist wirklich bedauerlich, dass sich Holmes nicht ausschließlich auf diese häuslichen Verbrechen beschränkt, wo die Motive vernachlässigbar und die Opfer gleichgültig sind. Rucastle wurde wegen seines Anteils an der Affäre nicht einmal verhaftet, nicht wahr? Er wurde nur schrecklich entstellt?«
    »Ganz grauenhaft.«
    »Und das von seinem eigenen Hund! Vielleicht war das Bestrafung genug. Erst wenn er sich größeren Dingen zuwendet, geschäftlichen Unternehmungen wie meinen, überschreitet Ihr Freund eine Grenze und wird etwas lästig. Ich fürchte, dass er kürzlich genau das getan hat, und wenn das so weitergeht, werde ich irgendwann mit ihm reden müssen, was – das versichere ich Ihnen – nicht zu seinem Vorteil wäre.«
    Seine Stimme war jetzt so schneidend geworden, dass ich innerlich schauderte. »Sie haben

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