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Das Geheimnis meiner Mutter

Das Geheimnis meiner Mutter

Titel: Das Geheimnis meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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war, ausgerechnet hier zu leben, als Zuschauer für Jennys und Joeys Liebe, aber irgendwie spürte er eine tiefe Verbundenheit zu Avalon. Hier hatte er als Junge entdeckt, was Frieden war.
    In seiner Freizeit lernte er – Verhandlungsführung, Verwaltung, Gemeindebeziehungen. Er adoptierte Hunde, die beschlagnahmt oder ausgesetzt worden waren, und widmete sich hingebungsvoll ihrer Ausbildung. Jeden Abend am Ende seiner Schicht schaute er nach seinen E-Mails. Joey war ein außergewöhnlich guter Schreiber, und per E-Mail konnten sie unmittelbar in Kontakt bleiben. Oft erfuhr Rourke große Neuigkeiten schon, bevor die Öffentlichkeit davon Wind bekam. Obwohl alle Korrespondenz überprüft wurde, zeichnete Joey ein lebendiges Bild von seinem Leben in einem nicht näher benannten Ort. Ein Leben, das hauptsächlich aus körperlichen Unannehmlichkeiten und Langeweile bestand, die hin und wieder von dem Adrenalinrausch ihrer Einsätze auf Leben und Tod durchbrochen wurden. Beinahe jede E-Mail an Rourke endete mit irgendeiner Referenz an Jenny: „Gib auf mein Mädchen acht.“ „Iss eine Kolache für mich.“ „Sag Jenny, ehe sie sich versieht, bin ich wieder zu Hause.“
    In letzter Zeit schien sein Bataillon in Bewegung zu sein, denn Joeys Korrespondenz war sehr sporadisch geworden. Oft hatten sie nun Nachteinsätze, zu denen sie meist mit einem speziell dafür konzipierten Chinook-Helikopter geflogen wurden. Er hatte sich einen Magenvirus eingefangen, verbarg ihn aber, weil er die Action nicht verpassen wollte – das war typisch für Joey.
    Eines Abends war Rourke mit den Hunden für eine letzte Runde im Garten, als er das Telefon klingeln hörte. Obwohl es weit nach zehn Uhr war, blieb er mit den Hunden immer noch ein Weilchen auf, um sie für die langen Stunden zu entschädigen, wenn er auf der Arbeit und sie alleine zu Hause waren. Er warf den vollgesabberten Tennisball ein letztes Mal und rannte in die Küche, wobei er sich die Hände an der Jeans abwischte. Dann suchte er nach dem Telefon. Aber zu spät. Als er es endlich zwischen den Sofakissen gefunden hatte, war der Anrufbeantworter schon angesprungen. Ungeduldig hörte er die Nachricht ab.
    „Ich bin’s“, sagte sie und musste nicht erklären, wer „ich“ war. Normalerweise meldete sie sich immer mit einer fröhlichen Begrüßung, aber heute war irgendetwas an ihrer Stimme anders. Etwas, das Rourke wie erstarrt stehen bleiben ließ. „Ich brauche dich hier“, fuhr sie fort. „Kannst du herkommen? Bitte.“
    Auf dem Weg im Auto zu ihr vergaß er, dass er eigentlich für die öffentliche Sicherheit in der Stadt zuständig war. Er hielt an keinem Stoppschild und fuhr wie von Dämonen gejagt. Er bog mit quietschenden Bremsen auf ihre Einfahrt ein, sprang aus dem Auto und nahm die drei Verandastufen mit einem Satz.
    Jenny erwartete ihn bereits an der Tür. Bevor sie etwas sagte, wusste er es. Ein Blick in ihr Gesicht verriet es ihm. Joey.
    Sie trank Champagner – die Flasche Cristal, die sie für Joeys Heimkehr aufbewahrt hatte und die nun beinahe leer war. Sie schüttelte stumm den Kopf und schien dann in seinen Armen zu schmelzen, während er sie hielt und sie ihre Wange gegen seine Brust drückte. Er nahm ihr das Glas aus der Hand, stellte es beiseite und hielt sie einfach nur fest. Sie weinte nicht, gab keinen Laut von sich, aber sie zitterte von Kopf bis Fuß.
    „Erzähl es mir“, flüsterte er in das nach Zimt duftende Haar über ihren Ohren. „Du kannst es mir sagen.“
    „Noch nicht“, sagte sie. „Lass uns noch einen Augenblick so stehen bleiben.“
    In dem Moment erstarb jede Hoffnung, die er noch gehabt hatte. Unter normalen Umständen vermieden Jenny und er es, körperlich in Kontakt zu kommen. Das war eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen ihnen, die in dem Moment entstanden war, als sie sich mit Joey verlobt hatte. Sie und Rourke waren zusammen zu explosiv, schon immer gewesen. Wenn er in ihrer Nähe war, schien sich seine Haut aufzuheizen, und die Welt schrumpfte auf die paar Quadratzentimeter unter seinen Füßen zusammen. Und dennoch war sie verbotenes Territorium.
    Die Umstände heute Nacht waren aber alles andere als gewöhnlich, und diese Umarmung, so roh und offen sie sich auch anfühlte, war der einzige Ort auf der Welt, wo er in diesem Moment sein wollte. Sie atmeten wie eine Person. Berührten sich mit schmerzerfüllter Zärtlichkeit, versuchten, im anderen zu verschwinden, um nicht zum nächsten Augenblick

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