Das Geheimnis meiner Mutter
oder nicht. Ich weigere mich, das zu tun, und ich wünschte, du würdest es ebenfalls lassen.“
„Es ist für mich keine Frage der Wahl“, sagte er. „Ich hätte den Unfall verhindern können, bei dem er starb. Ich hätte alles fallen lassen, zu ihm fahren und ihn abholen können.“
„Mein Gott, Rourke, hörst du dir eigentlich selber zu? Du kannst nicht die ganze Welt retten. Das ist nicht deine Aufgabe.“
„Oh, tut mir leid. Ich dachte, das geht mit dem Job eines Polizisten einher.“
Die ideale Rolle für ihn. Menschen retten und dann gehen. Aber nicht dieses Mal, entschied sie. Dieses Mal würde sie das nicht zulassen. „Du tust alles, was du kannst“, sagte sie. „Das machen wir alle, und ja, manchmal ist gut nicht gut genug. Aber so ist das Leben nun einmal. Du sagst, wir sollten nicht zusammen sein, hätten nie zusammen sein sollen, und ich sage, du liegst falsch.“
„Blödsinn. Du und Joey, so hätte es sein sollen. Du und er, ihr habt perfekt zusammengepasst. Genau so und nicht anders hätte es sein sollen.“
Sie schaute ihn finster an. „Das ist das, was du entschieden hast. Du hast mich nicht einmal nach meiner Meinung gefragt. Zu deiner Information, Joey und ich waren nicht ‚perfekt‘. Niemand ist das. Ich habe ihn geliebt, aber niemals so, wie ich dich geliebt habe.“ Das Geständnis rutschte ihr heraus, bevor sie es zurückhalten konnte. Sie atmete tief ein, beschämt und gleichzeitig erstaunlich erleichtert. Endlich hatte sie ihm die Wahrheit gesagt, und so wie es aussah, drehte sich die Erde trotzdem noch.
Seine Reaktion war allerdings alles andere als ermutigend. Er fluchte und schaute sie böse an. Dann stand er auf und trat ans Fenster, sodass er ihr den Rücken zuwandte. Die Dunkelheit sammelte sich über dem See, und draußen war kein einziger Lichtschein zu sehen. „Schlechte Idee“, sagte er endlich. „Du wolltest nicht mit mir zusammen sein. Ich habe die Nachricht erhalten, dass mein bester Freund gestorben ist, und alles, woran ich denken konnte, war, dass ich dich endlich vögeln könnte.“
Sie wusste, dass er absichtlich so grobe Worte wählte. Von seiner launischen Art hatte sie sich noch nie abschrecken lassen. „Das hast du nicht gedacht, und das weißt du auch. Die Geschichte erzählst du dir nur, damit du dein Leben voller Schuldgefühle über das, was passiert ist, verbringen kannst. Was du wirklich gefühlt hast, was wir beide gefühlt haben, war der Verlust von jemandem, den wir aus ganzem Herzen geliebt haben. Jemand, den wir so sehr liebten, dass wir unsere Liebe zueinander nicht zugelassen haben. Das Problem ist, dass du und ich sehr gut zueinanderpassen. Doch wir haben uns all die Jahre verbogen, um es ignorieren zu können. Und jedes Mal, wenn wir etwas vortäuschten, jedes Mal, wenn wir unsere Gefühle verleugneten, haben wir es nur noch schlimmer gemacht. Erkennst du das Muster?“
Rourke drehte sich vom Fenster weg, um Jenny anzusehen. Ihre Worte packten sein Herz, drückten es, bis er es nicht mehr ertrug. In zwei Schritten durchquerte er den Raum, legte seine Arme um sie und zog sie an sich. Und sie passte so perfekt in seine Umarmung. Ihr weicher, blumiger Duft umhüllte ihn, und in einem Augenblick, der vermutlich zu den schlimmsten Momenten ihres Lebens gehörte, verspürte er eine wahnsinnige Zuneigung zu ihr.
Als sie ihren Kopf hob, um ihn anzuschauen, küsste er sie vorsichtig. Sie schmeckte so warm und süß, und sie erwiderte seinen Kuss mit einer Inbrunst, von der er seit Jahren geträumt hatte. Sie sprachen nicht mehr, sondern drängten sich aneinander, bis Rourke vor Sehnsucht zitterte. Doch gleichzeitig überlegte er, ob das hier nur eine Wiederholung der Szene aus einer anderen Zeit war, als sie gedacht hatten, sie hätten Joey verloren. Mit Mühe riss er sich von ihr los und fragte sie mit seinen Augen. Sie sagte nichts, sondern nahm seine Hand und zog ihn in ihr Schlafzimmer, wo ein kleines Licht auf dem Nachttisch brannte. Und hier zeigte er ihr endlich sein Herz auf die einzige Art, die er kannte. Der Schnee fiel in schrägen Bahnen und türmte sich immer höher auf, sodass er beinahe bis an die Fensterbänke des Winterhauses reichte. Mitten in der Nacht lag Jenny neben Rourke auf der Seite und betrachtete ihn.
Bis zu dieser Nacht hatte es so lange gedauert. Als sie sich endlich hatten gehen lassen, war es zu einer Explosion der Emotionen gekommen. Es war besser als alle Träume und hinterließ in ihr ein so tiefes
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