Das Geheimnis meiner Mutter
Gefühl der Befriedigung, dass ihr die Tränen kamen. Die Intimität, die sie miteinander geteilt hatten, war anders als alles, was sie je erlebt hatte, und ihre unbeschreibliche Schönheit traf sie vollkommen unerwartet. Ihre Gefühle für ihn verdrängten den Schmerz und die Trauer, die sie umgeben und von allen isoliert hatten.
Ein schwacher Lichtschimmer kämpfte sich durch die graue Morgendämmerung. Sie hatte den Überblick verloren, wie oft sie sich geliebt, den Körper des anderen in einer langen Folge von Entdeckungsreisen erforscht hatten. Irgendwann hatte er im Revier angerufen und Bescheid gesagt, dass alles in Ordnung wäre und er zurückkommen würde, sobald der Sturm vorüber wäre.
Und als sie hier so lag und seinem Atem und dem Schlagen ihres eigenen Herzens zuhörte, wollten die Tränen aus irgendeinem Grund nicht aufhören zu fließen. Seine Lider flatterten, dann öffnete er die Augen, richtete sich etwas auf und berührte ihre Wange mit dem Daumen. „Es tut mir leid“, sagte er.
„Du verstehst das nicht.“ Sie versuchte, die Gefühle zu ordnen, die in ihr tobten. „Das ist nicht … Ich bin nicht traurig. Nur … irgendwie erleichtert. Nicht nur wegen meiner Mutter, sondern auch … unseretwegen.“ Okay, dachte sie. Sie konnte genauso gut aufs Ganze gehen. „Ich habe das hier seit so langer Zeit gewollt. Hast du das nicht gewusst?“
Er lächelte leicht. Seine Miene sah im dämmrigen Licht, das der Ofen im anderen Zimmer von sich gab, ganz weich aus. „Deshalb habe ich mit allen Mitteln versucht, mich von dir fernzuhalten. Was wir getan haben – was mit Joey passiert ist … wie könnten wir da jemals zusammen glücklich werden?“
„Wie? Genau so.“ Sie berührte sein Gesicht, die leichten Bartstoppeln und die blonde Strähne, die ihm in die Stirn fiel. Sie küsste die halbmondförmige Narbe auf seinem Wangenknochen. „Erinnerst du dich an den Tag, an dem du dir die hier eingefangen hast?“
„Der Tag, an dem wir uns kennengelernt haben. Als ich mich deinetwegen geprügelt habe.“ Er betrachtete sie lange, aber es machte sie nicht verlegen. Sie mochte es, wenn er sie ansah, denn wenn er das tat, konnte er die Lust und Zuneigung in seinen Augen nicht verbergen.
„Ich habe dich nie gebraucht, damit du mich beschützt. Damals nicht und auch jetzt nicht. Ich brauche dich nur …“ Damit du mich liebst. Sie konnte die Worte nicht aussprechen.
„Okay“, sagte er, als wenn sie laut gesprochen hätte.
In diesem einen Wort steckte die Bedeutung einer ganzen Welt, und sie lachte und schmiegte sich in seine Arme, als er sich wieder hinlegte. „Uns erwartet ein weiterer schneereicher Tag“, sagte er.
„Perfekt“, erwiderte sie.
Sehr viel später am Morgen wurde das Holz für den Ofen knapp, und Rourke ging nach draußen, um neues zu holen. Ein paar Hundert Meter neben der Hütte gab es mehrere Stapel mit Feuerholz. Rourke zog seine Stiefel und Schneeschuhe an, nahm sich ein Paar Arbeitshandschuhe und seine dicke Jacke. „Ich bin gleich zurück“, sagte er.
Jenny schaute durch das Fenster nach draußen. Die Landschaft war eine einzige weiße Fläche mit ein paar Erhebungen und der unendlich erscheinenden Weite des Sees. Der Wald und die anderen Gebäude des Camps waren nur verschwommene Schatten. „Geh nicht verloren“, warnte sie ihn.
Er lachte und gab ihr einen Kuss. „Nach dieser Nacht? Machst du Witze?“
Sie schloss die Tür hinter ihm und lehnte sich dagegen. Einen alten Schlitten hinter sich herziehend stapfte er los, Rufus aufgeregt an seiner Seite. Sie sah ihm nach, bis seine Gestalt kleiner wurde und schließlich verschwand. Sie war so glücklich, dass es ihr den Atem raubte. Endlich. Sie wusste, dass es nicht unbedingt einfach würde, ihn für den Rest ihres Lebens zu lieben, aber es war genau das, was sie wollte. Und das machte den entscheidenden Unterschied. Ihre Unzufriedenheit und Unruhe waren nie durch ihre Bande zur Bäckerei und Avalon ausgelöst worden. Jetzt, wo sie mit Rourke zusammen war, ergab auf einmal alles einen Sinn.
Sie zitterte und ging hinüber zum Ofen. Das letzte Scheit war heruntergebrannt, und es wurde langsam kalt. Sie ging ins Schlafzimmer, um sich noch ein paar Lagen Kleidung anzuziehen. Dicke Socken und eine Jogginghose, einen Pullover und warme Hausschuhe. Sie hielt inne und schaute in den Spiegel. Ihr Haar war total zerwühlt, ihre Lippen ungewöhnlich voll, und … war das ein Kratzer von seinen Bartstoppeln da an ihrer
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