Das Geheimnis meiner Mutter
aufgetrieben und mir erzählt, dass mein Haus in Flammen aufgegangen ist. Ich bin mit zu ihm gegangen, weil ich hundemüde und es zu früh war, irgendjemand anders zu wecken. Und jetzt bin ich noch da, weil …“ Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, ihnen von seinen Talenten als Kaffeekocher vorzuschwärmen, von der luxuriösen Bettwäsche und dem nicht zu leugnenden Gefühl der Sicherheit, das sie in seiner Nähe verspürte.
Nina nieste und putzte sich dann die Nase. „Tut mir leid. Ich habe mir in dem Hotel in Albany einen Schnupfen eingefangen. Du hättest doch zu mir gehen können“, fuhr sie dann übergangslos fort. „Ich war zwar nicht in der Stadt, aber Sonnet hätte es sicher nichts ausgemacht.“
Jenny wusste, dass Nina genauso wenig Platz für einen Dauergast hatte wie Olivia. Nina und ihre Tochter lebten in einem winzigen Bungalow. Das Amt des Bürgermeisters war quasi ein Ehrenamt, so gering war das Gehalt. „Danke“, sagte Jenny, „aber wie ich schon sagte, es ist nur so lange, bis ich herausgefunden habe, was ich tun soll.“
Wie immer war Nina ein wahrer Wirbelwind. Ihr Telefon klingelte, und sie musste schnell zu einem Termin. „Ruf mich an“, rief sie noch, dann legte sie den Gang ein und sauste davon.
Jenny und Olivia fuhren zum Marktplatz, wo die Bäckerei sich direkt neben einem Juwelier, einem Buchladen und verschiedenen anderen Boutiquen und Souvenirläden befand. Sie betraten die Boutique Zuzu’s Petals, die beste Adresse für Damenmode in der Stadt.
Mit ihrer Schwester einzukaufen war unerwartet angenehm. Und Jenny konnte auch nicht leugnen, dass es etwas Befreiendes hatte, mit einer neuen Garderobe noch einmal ganz von vorne anzufangen. Trotzdem bestand sie darauf, den Einkauf auf das Notwendigste zu beschränken. „Ich werde eine Weile lang mit leichtem Gepäck reisen“, sagte sie. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass alles weg ist.“
Olivias Augen wurden feucht. „Oh, Jenny.“ Sie holte ihr Handy raus. „Wir müssen Dad anrufen und es ihm erzählen.“
„Nein, das müssen wir nicht.“ Jenny dachte an ihren Vater noch nicht als „Dad“. Vielleicht würde sie das auch nie tun. Bis zum letzten Sommer war das Einzige, was sie über ihn wusste, eine kryptische Bemerkung in ihrer Geburtsurkunde: Vater unbekannt. Seitdem sie von ihrer gegenseitigen Existenz erfahren hatten, bemühten sie sich, einander besser kennenzulernen. Trotzdem war er in ihrem Kopf noch nicht Dad, sondern Philip. Ein sehr netter Gentleman, der vor vielen Jahren den Fehler begangen hatte, sich in Jennys Mutter Mariska zu verlieben.
„Okay“, gab Olivia nach. „Aber du solltest ihm schon sagen, was passiert ist.“
„Das werde ich. Ich rufe ihn später an.“
„Und …“ Olivia zögerte, ihre Wangen wurden rot. „Ich sollte dich außerdem warnen, dass meine Mutter und ihre Eltern – die Lightsey-Seite der Familie – bald hierherkommen, um mir bei den Vorbereitungen für die Hochzeit zu helfen.“
„Natürlich“, sagte Jenny. „Aber trotzdem danke für die Vorwarnung.“
„Wird es für dich sehr unangenehm sein, sie zu sehen?“
Die Frau zu sehen, die ihr Vater geheiratet hatte, nachdem er von Mariska fallen gelassen worden war? Wie könnte das nicht unangenehm sein? „Wir sind doch alle erwachsen. Wir werden die Situation schon in den Griff bekommen.“
„Danke. Die Eltern meiner Mutter und Nana und Grandpa Bellamy sind schon seit Ewigkeiten befreundet. Ich denke, zwischen den vieren stand schon lange bevor meine Eltern sich das erste Mal getroffen haben fest, dass die beiden heiraten würden. Vielleicht hat das am Ende zur Scheidung geführt. Dass die Ehe gar nicht wirklich ihre Idee gewesen war.“
Zu Jennys Unbehagen konnte sie sich nur zu gut vorstellen, jemanden zu heiraten, weil es das Richtige zu sein schien. Vor langer Zeit hätte sie es beinahe selber einmal getan. Sie schob den Gedanken beiseite und nahm stattdessen den BH in die Hand, den ihre Schwester ihr reichte. Olivia hatte einen ausgezeichneten Geschmack. Jenny suchte sich sieben Sets Unterwäsche aus. Auch wenn ihr Blick immer wieder an den Dessous mit weicher Spitze hängenblieb, entschied sie sich doch für schlichte Baumwollschlüpfer. Sie musste praktisch denken.
Olivia ging weiter zu einem Ständer, an dem Pyjamas hingen, nahm einen Bügel heraus und hängte den altmodischen Schlafanzug gleich wieder weg. Dann hielt sie Jenny ein pinkfarbenes Babydoll hin und nickte
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