Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
Glück der wahren Seelenverbundenheit erfahren hast, das mit der Entdeckung der Liebe deines Lebens einhergeht.
In Liebe, deine Violet.
Vanessa ließ den Brief aufs Bett fallen und stand auf, um zum Kamin zu gehen. In einem vergeblichen Versuch, sich aufzuwärmen, rieb sie sich die Arme, aber selbst so dicht am Feuer war ihr innerlich noch kalt. Jeremy und Violet waren also nicht nur in jener einen Nacht in einem Anfall körperlicher Lust zusammen gewesen. Nein, es klang, als wären sie noch immer zusammen und als glaubten sie, unsterblich ineinander verliebt zu sein.
Außerdem fand Vanessa es ausgesprochen ärgerlich, dass Violet zu Jeremy gegangen war, um sich die Arbeit ihres verstorbenen Vaters erklären zu lassen. Vanessa hatte die Aufzeichnungen ihres Vaters jahrelang studiert, und sie war es, die ihm am ähnlichsten war, ob er das zu seinen Lebzeiten nun akzeptierte hatte oder nicht.
Warum war Violet also nicht zu ihr gekommen, um sich Rat zu holen? War sie ihrer eigenen Familie so fremd, dass ihre Schwester lieber mit einem Fremden statt mit ihr sprach? Wenn Jeremy schon den Irrtum beging zu glauben, er sei verliebt, warum dann ausgerechnet in Violet, die er, was Studien und Forschung anging, erst noch unterrichten musste, während Vanessa ihm auf intellektueller Ebene schon ebenbürtig war? Wie war es möglich, dass sie sowohl ihre Schwester als auch ihren Verlobten so völlig falsch beurteilt hatte?
Ein Teil von Vanessa wollte die beiden bemitleiden, weil sie dumm genug waren, sich noch immer etwas vorzumachen. Natürlich wusste sie jetzt, wie es war, sich in leidenschaftlichen Empfindungen zu verlieren, von jemandem berührt zu werden, der den Rest der Welt vergessen machte. Aber das war Lust, eine rein körperliche Reaktion. Liebe aber war vergänglich, und das würde auch Violet schon bald erkennen.
Selbst jetzt noch prickelte Vanessas Haut von Graemes Zärtlichkeiten. Sie fragte sich, ob sie in solchen Momenten anders auf Menschen wirken mochte. Konnten sie nach einem Blick auf sie erkennen, dass sie ein leidenschaftliches Zusammensein mit ihrem Ehemann gehabt hatte? Sie wusste, dass das nichts Ungehöriges war; der Geschlechtsverkehr war ein Bestandteil jeder Ehe.
Es war weniger der Akt selbst als vielmehr ihre Reaktion darauf, die sie verblüffte. So viele Jahre hatte sie geglaubt, über solch niedrigen Bedürfnissen zu stehen, und dass sie, falls sich die Gelegenheit böte, auf etwas so Animalisches wie Lust verzichten könnte. So war es jedoch keineswegs gewesen. Ein kleiner Vorgeschmack darauf, und schon war sie über den ganzen Teller hergefallen. Und nicht nur einmal, sondern mehrmals.
Es war nicht die Lust an sich, die sie beängstigte, sondern was als Nächstes kommen würde. Wenn sie imstande war, ins Schwanken zu geraten und so empfänglich für eine simple Berührung ihres Ehemanns zu sein, was könnte er dann noch alles bei ihr bewirken? Sie glaubte nicht an romantische Liebe, aber sie hatte ja auch nicht gedacht, dass sie körperliche Lust empfinden könnte. War sie also wirklich so anders als ihre Schwester?
Schnell machte sie sich daran, sich für die abendlichen Festlichkeiten anzukleiden. Während sie ihr schlichtes Kleid zurechtzog, starrte sie sich stirnrunzelnd im Spiegel an. O ja, sie war anders als Violet. Ihre jüngere Schwester mochte sich etwas vormachen mit Fantasien von Liebe und Romantik, aber so naiv würde Vanessa niemals sein. Aber dies war nicht der richtige Moment für eine Neubewertung ihrer Theorien. Sie glaubte nach wie vor, dass Liebe vergänglich war, und wollte nichts damit zu tun haben, aber das Wichtigste war jetzt zunächst einmal, sich für den Hochzeitsempfang fertig zu machen.
Kurz darauf saß sie vor der Frisierkommode und befestigte die letzte Haarnadel. Es war für sie nichts Ungewohntes, sich selbst zu frisieren, weil sie im alltäglichen Leben schon seit Jahren nicht mehr die Dienste ihrer Zofe beansprucht hatte. Sie hatte einfach nicht die Notwendigkeit dafür gesehen. Ihre Mutter hatte nach wie vor auf großer Toilette für Soireen oder Bälle bestanden, aber Vanessa hatte sich daran gewöhnt, sich selber anzukleiden.
Sie betrachtete sich noch einmal im Spiegel und dachte, wie völlig anders dieser Hochzeitsempfang sein würde, verglichen mit dem, den sie mit Jeremy gehabt hätte. Dort wäre sie in diesem lächerlichen gerüschten Kleid erschienen, das ihrer Mutter so gut gefallen hatte, während sie heute Abend ein schlichtes, aber
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