Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
befürchtete. Nein, no way, das könne er backen, Akten, nach solch einer langen Zeit … „Aber, Simon, du führst doch wieder was im Schilde.“
„Nö“, erwiderte der Gelegenheitsdetektiv ebenso knapp wie plump.
Doch der Oberkommissar kannte seine Pappenheimer: „Simon, mach mir bitte nichts vor. Ich kenne dich doch. Wir sehen uns heute abend im Weinfaß. Da will ich von dir was hören.“ Umgehend war die Verbindung unterbrochen.
Herr Schweitzer zog eine Schnute und kratzte sich hinter dem Ohr. „Hm.“
„Was?“ fragte Elly.
„Du hattest recht. Keine Unterlagen mehr.“
„Schade. Aber, Simon, psst …“
Er rückte näher an Elly heran, die sich eine Hand vor den Mund hielt.
„Ja?“
„Zeitungsarchive …“, flüsterte sie.
Herrn Schweitzers Miene hellte sich auf. Er strahlte wie einst Tschernobyl. „Hey, Elly. Das ist es. Der Typ vom Sachsehäuser Käsblättche ist ein alter Bekannter von mir. Aber …“ Ein Schatten legte sich über sein Gemüt. Er kannte den Ordnungssinn von Felix Melibocus, dem Herausgeber dieser Stadtteilzeitung, zur Genüge. Und Felix in Verbindung mit Ordnung ist der Prototyp eines jeden Euphemismus. Herr Schweitzer hatte bereits die Ehre gehabt, das Archiv vom Sachsehäuser Käsblättche in Augenschein zu nehmen. In den dortigen Kellerräumen sollte man sich nur sehr behutsam bewegen, ansonsten man im wahrsten Sinne der Worte zu viel Staub aufwirbelte. Und von wegen chronologischer Folge der verschiedenen Ausgaben: Pustekuchen! „Au weia, mir schwant Fürchterliches.“ Sein Blick schweifte über den Sperrmüll, der im Gegensatz zu Melibocus’ Archiv wie eine gerade frischbezogene, renovierte Wohnung aus einem Hochglanzmagazin wirkte.
Elly und Ferdi ließen ihn gewähren und warteten geduldig auf die Fortsetzung.
Eine halbe Minute später: „Na ja, warum nicht.“ Schlaff hing Herrn Schweitzers Schulter herab. „Einen Versuch ist es wert. Vielleicht haben wir Glück und finden etwas im Chaos.“
„So schlimm?“ erkundigte sich Elly McGuire.
„Noch viel, viel schlimmer.“
„Doch so schlimm?!“
„Nun ja, sagen wir mal so: Immer wenn Maria meint, ich sei der unordentlichste Chaot, den sie kenne, drohe ich mit einem Besuch beim Sachsehäuser Käsblättche. Das relativiert nämlich alles. Dagegen bin ich der reinste Putzteufel und Ordnungsfanatiker.“
„Ich übernehme das“, erklärte nun Elly zur Überraschung aller. „Es reicht, wenn du mich diesem Felix vorstellst und ihm unser Anliegen erläuterst. Mit Chaos kenne ich mich aus. Außerdem habe ich gerade Zeit.“
Selbstverständlich war dieser Vorschlag in Herrn Schweitzers Augen geradezu phänomenal. Wie überhaupt alle Vorschläge, die ihn nicht zur Arbeit bewegten, geradezu phänomenal waren. Obendrein war er ein Sklave des Mittagschlafs, sommers wie winters. Er sah auf die Uhr und gähnte. „Felix macht gerade Mittagspause. Wie wär’s, Elly, wenn wir uns heute am frühen Abend in der Wallstraße treffen?“
„Ist dort die Redaktion?“
„Ja, schräg gegenüber vom Musikladen. Ist leicht zu finden, die Wallstraße ist nur circa hundert Meter lang. Sagen wir um achtzehn Uhr?“
„Gebongt. Ich werde da sein.“
Die Sonne stand im Zenit, als sich Herr Schweitzer auf den Weg in seine Wohnung im Mittleren Hasenpfad begab. Er war rechtschaffen müde und ausgelaugt. Ein Ziehen in der rechten Armbeuge interpretierte er treffsicher als aufkeimenden Muskelkater. Der Kiosk auf der Mörfelder Landstraße hatte gerade Mittagspause und schied als Zwischenstation aus. Schade, dachte er, denn er hätte dort gerne seinen Durst gelöscht und eventuell ein Snickers genascht. Im Zentrum seiner Gedanken befand sich natürlich der Fall des ermordeten Taxifahrers. Herr Schweitzer war viel zu neugierig, als daß er ihn einfach so beiseite schieben konnte. Er hatte Blut geleckt und wußte auch, woher das kam. Es waren die Informationen, die er von Elly erhalten hatte, und die sich immer mehr in Richtung Kuhhirtenturm bewegten. Was war dort vor zwanzig Jahren passiert? Welches Geheimnis lag dort verborgen?
Von dem geplanten Besuch beim Sachsehäuser Käsblättche versprach sich Herr Schweitzer so gut wie nichts. Das lag an seinem Realitätssinn. Denn ausgerechnet dort fündig zu werden, war nahezu aussichtslos. Zur Bekräftigung nickte er mit dem Kopf. Als Alternative fiel ihm die Frankfurter Rundschau ein, die seit kurzem im restaurierten Straßenbahndepot am Südbahnhof ihr neues Domizil aufgeschlagen
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