Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
du nur auch vier Bananen gegessen, bevor du herkamst.“ Demonstrativ stellte er sich vor das Sofa, zog seinen Hemdsärmel hoch und ließ seine Muckis spielen. „Guckst du, nix als stahlharte Muskeln. Bananen, sag ich dir, und Müsli. So etwas gibt Kraft ohne Ende.“
„Schwachsinn“, war das letzte Wort, das Buddha Semmler an diesem erlesenen Tag von sich gab. Ächzend stand er auf und ging grußlos nach Hause.
„Was hat er denn?“ fragte Elly McGuire.
„Weiß nicht“, erwiderte Herr Schweitzer. „Wahrscheinlich noch die Nachwehen der gestrigen Nacht.“
Elly ging zum Kiosk und kam mit vier Flaschen Ex wieder. Mit ihrem grünen Bic-Feuerzeug öffnete sie zwei davon. „Hier, Ferdi. Prost.“
„Prösterchen.“
Elly und Ferdi setzten sich aufs Sofa. Herr Schweitzer zog sich einen mit Farbklecksen übersäten Holzschemel heran, der im Keller gestanden hatte, und ließ sich ebenfalls nieder. Schweigend betrachteten sie den Sperrmüll.
Der erste Neugierige erschien. Er stellte seinen Einkaufskorb an die Hauswand und begutachtete die beiden anthrazitfarbenen Stereoboxen. „Gehen die noch?“
„Klar“, sagte Elly. „Nimm mit, was dir gefällt. Da, in der Weinkiste sind auch noch ein paar Platten.“
Zu Herrn Schweitzer sagte sie: „Und, bevor ich’s vergesse: Jens war wegen eines Autounfalls am Kuhhirtenturm mit tödlichem Ausgang bei diesem Doktor Seiboldt in Behandlung. Das hab ich vom Studer. Als nämlich Jens vor einundzwanzig Jahren bei ihm angefangen hat, ist er deswegen öfters krankgeschrieben worden. Dachte mir, es interessiert dich vielleicht.“ Elly kramte nach ihrem Feuerzeug für die Zigarette.
Mochte Herr Schweitzer mit seiner fast schon zum Kult erklärten Behäbigkeit auf Außenstehende wie eine besonders einfältige Person wirken, er war es mitnichten. Der Schein trog immens. Während andere noch mit der Information als solche beschäftigt waren, erfaßte er bereits die Zusammenhänge. Ein Autounfall mit Todesfolge! Vor einundzwanzig Jahren beim Studer angefangen! Der Zeitungsartikel in Jens’ Kommode stammte von 1989, das war vor genau zwanzig Jahren!
Weil Herr Schweitzer mächtig auf Zack war, machte es Klick in seinen grauen Gehirnzellen. Der Einstein in ihm fragte sich, wie viele Frankfurter Taxifahrer in den Jahren um 1989 wohl in einen tödlichen Unfall verwickelt waren. Mehr als drei, vier oder maximal fünf dürften es kaum gewesen sein. Ergo könnte der Mord an Jens am Kuhhirtenturm doch etwas mit dessen Vergangenheit zu tun haben. Die Chancen für diese These standen plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Und daß der Artikel nur zufällig dort gelegen hatte? Nein, an Zufälle glaubte er nicht.
Allerdings war diese neue Erkenntnis nichts weiter als ein Anfang. Das war Herrn Schweitzer schon klar. Eine Spur, und nicht einmal besonders heiß. Aber etwas anderes hatte er nicht. Der Kripo mit ihren weitreichenden Möglichkeiten wie Fingerabdrucksanalysen, DNA-Vergleichen, Phantombildern und so fort konnte er sowieso nicht das Wasser reichen. Ergo blieb ihm der dürftige Rest. Aber, und das durfte nicht unterschätzt werden, Herr Schweitzer hatte einen Vorteil, was diese neue Spur betraf: Heimspiel! Sachsenhausen! Hier war er in seinem Element. Hier kannte er sich aus wie in seiner sprichwörtlichen Westentasche. Doktor Werner Seiboldt – Sachsenhausen. Unfall und Mord am Kuhhirtenturm – Sachsenhausen. Wenn das mal kein Wink war.
Das komplette Gedankenspiel Herrn Schweitzers dauerte nur ein paar Sekunden. „Klar, Elly. Klingt interessant. Werde mal beim Schmidt-Schmitt anklingeln, wie weit die bei der Bullerei jetzt sind. Ich hab da schon so eine Idee.“
„Wie? Du meinst, wegen dem Mord an meinem Bruder?“ Gierig zog Elly an der Zigarette.
Auch Ferdi war neugierig geworden: „Erzähl doch mal.“
Natürlich durfte Herr Schweitzer die Erwartungen nicht allzu forsch nach oben schrauben. Desdewesche stapelte er tief: „Och, nur so. Ich meine, Jens hatte einen Unfall am Kuhhirtenturm und ist auch dort ermordet worden. Wahrscheinlich nix als ein dummer Zufall, aber das kann man ja rauskriegen.“
Elly McGuire bückte sich und drückte ihre Zigarette auf einer Gehwegplatte aus. „Glaubst du das wirklich? Nach so langer Zeit? Heben die von der Kripo ihre Akten tatsächlich so lange auf?“
Exakt bei dieser Frage war Herr Schweitzer auch schon angelangt. Er hatte nicht die geringste Ahnung. „Ich frag einfach meinen Kumpel, den Mischa. Der weiß das
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