Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
keine Ansprüche mehr. Sein Abendmahl bestand aus zwei Scheiben Brot und einem Glas Wasser.
Keine Stunde später saß er bereits fertig angezogen auf der Couch. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und betrachtete die weißen Schnürschuhe der Modefirma Yellow Cab an seinen Füßen. Auch die anderen Klamotten waren sehr stylisch, wie sich junge Leute heutzutage auszudrücken pflegten. Mit einem dick aufgetragenen Haargel hatte er seiner Frisur eine neue Form gegeben. Und es sollte so aussehen, als habe er sie seit Tagen nicht mehr gewaschen. Mit feuchter Blumenerde, der er ein wenig Speiseöl beigemischt hatte, beschmutzte er nun seine Klamotten. Nicht zu viel, denn er wollte nicht übertreiben.
Dann ging er ins Badezimmer, um sein Gesicht zu verändern. Mit einem roten Schminkstift malte er etliche Pickel unterschiedlicher Größe auf die Haut. Zu guter Letzt baumelte auch der Klemmring mit dem keltischen Kreuz an seinem Ohr. Er erkannte sich selbst kaum wieder.
Zufrieden mit dem Resultat, sofern man bei seinem Zustand überhaupt von Zufriedenheit sprechen konnte, öffnete sich Esterházy eine Flasche Bier und schaltete den Fernseher ein. Den Wecker hatte er auf halb eins gestellt, nur für den Fall der Fälle, daß er einschlafen sollte oder die Zeit verpaßte. Im Zweiten lief ein Boxkampf. Daß es Frauen waren, die sich gegenseitig die Fresse polierten, war völlig ohne Belang. Ein Comic hätte es auch getan. Es machte keinen Unterschied. Hauptsache, das Gerät berieselte ihn.
Das mit dem Wecker war eine gute Idee gewesen, wie sich herausstellte. Esterházy war tatsächlich eingeschlafen.
Der verspannte Nacken schmerzte höllisch. Das Bier hatte er kaum angerührt. Er mußte sich zwingen aufzustehen. Es dauerte eine Weile, bis er endlich die Flasche mit dem Franzbranntwein gefunden hatte. Sie stand verdeckt vom Abfalleimer für Plastikmüll im Flur. So gut es eben ging verrieb er die Flüssigkeit auf der hinteren Halspartie. Sie kühlte angenehm.
Ihm graute vor dem, was kommen sollte. Mechanisch zog er die Jacke an, steckte die Pistole ein und trank das Bier bis zur Hälfte aus.
Sein Blick fiel auf das Foto seiner toten Tochter. Er nahm es aus dem Rahmen und betrachtete Sandra, als sei sie eine Fremde. Sekundenlang verharrte er, ehe er sich einen Ruck gab, das Foto knickte und in seine Hosentasche steckte.
Seltsamerweise nahm er den Hausmüll mit nach unten. Esterházy war mit seinen Gedanken sonstwo.
Weder Menschen noch Autos waren unterwegs. Eine graue Katze, die unter einem abgestellten Kleinbus gelegen hatte, suchte das Weite, als er sich näherte. Um zehn vor eins hatte er die Kreuzung erreicht. Trotz des Biers fühlte sich seine Zunge an wie grobkörniges Schmirgelpapier. Er schluckte.
Gelb blinkte die Ampelanlage. Um diese Uhrzeit war sie außer Betrieb. Kurz ließ sich eine Fledermaus blicken, dann verschwand sie mit hektischen Flügelschlägen wieder in der Dunkelheit.
Als sich zwei Scheinwerfer vom Buchrainplatz her näherten, begann sein Herz zu rasen. Aber es war kein Taxi. Das Auto bog nach links in die Wiener Straße ab. Er starrte den roten Rücklichtern nach, bis eine Kurve die Blickachse unterbrach. Am liebsten hätte er die Aktion abgebrochen. Er empfand es als irrational, der Situation nicht mehr gewachsen zu sein, obwohl er bereits zwei Menschen umgebracht hatte.
Er griff nach der Pistole und hielt sie sich an die Schläfe. Aber er hatte Angst davor, den Abzugshahn zu berühren. Vorsichtig steckte er sie wieder ein. Er begann zu frieren, obwohl es kaum abgekühlt hatte. Noch immer waren es über fünfundzwanzig Grad. Er zog den Reißverschluß seiner Jacke hoch und dachte an sein Bett. Dort wäre er in Sicherheit, nicht mit dem Leben und seinen Irrwegen konfrontiert. In Fötushaltung würde er sich die Decke über den Kopf ziehen. Ein angenehmer Gedanke.
Bloß weg von hier. Er ging ein paar Schritte bis zum Kiosk, kehrte wieder um und machte erneut eine Kehrtwendung. Wie ein Tier im Zoo, das keinen Ausgang fand. Es war ein imaginäres Gefängnis, doch eine Fluchtmöglichkeit blieb auch ihm verwehrt.
Es schnürte ihm die Kehle zu, als der elfenbeinfarbene Mercedes mit dem gelben Schild auf dem Dach direkt vor ihm zum Stehen kam. Ein riesiger Adrenalinausstoß ließ seine Kopfhaut bitzeln und seinen Körper erbeben. Er fühlte sich wie ein Soldat vor der ersten Schlacht. Urin drängte durch seinen Penis. Er merkte, wie die ersten Tropfen seine Unterhose näßten.
Dann riß er
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