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Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Titel: Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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sich mit aller Kraft zusammen und öffnete die hintere Tür.
    „Herr Müller? Ich hätte Sie fast gar nicht erkannt.“
    Karel Esterházy hatte sich so schöne Sätze zurechtgelegt, die sein anderes Aussehen erklärten. Viel war davon nicht übriggeblieben. Er mühte sich zu der Aussage: „Maskenball. Mitternacht. Mitternachts-Maskenball. Bin spät dran.“
    Jens Auer sah in den Rückspiegel und fragte sich, warum sein Fahrgast das Taxi dann nicht schon für einen früheren Zeitpunkt vorbestellt hatte. Aber er war auch schon lange genug in diesem Gewerbe, so daß ihm das oft wunderliche Gebaren seiner Fahrgäste herzlich egal war. Dieser Müller war ihm stets ein angenehmer Kunde gewesen. Er setzte sich auf die Rückbank, nannte das Fahrtziel und war ansonsten nicht auf die üblichen, belanglosen Plaudereien aus. Und Trinkgeld gab er auch reichlich. So nahm es Jens Auer als gegeben hin, daß Herr Müller heute ein wenig sonderlich wirkte. Er fuhr an und fragte: „Sachsenhausen. Wohin genau?“
    „Gr…“ Der auf Fixer getrimmte Mörder hatte einen Kloß im Hals. Er räusperte sich, bis sich genügend Speichel gesammelt hatte. „Große Rittergasse. Hinterausgang Jugendherberge.“ Das Wort Kuhhirtenturm vermied er tunlichst. Es war mit negativen Assoziationen besetzt.
    „Hinterausgang Jugendherberge“, wiederholte Jens Auer aus alter Gewohnheit. Zu oft hatte es in der Vergangenheit schon Mißverständnisse gegeben. Eskalationen mit Fahrgästen vermeiden, war sein oberstes Gebot.
    „Genau“, kam auch prompt die Bestätigung vom Rücksitz.
    Der Taxifahrer drückte aufs Gaspedal und dachte: ‚Wenn doch nur alle so wären …’ Er konnte nicht wissen, daß dies ein fataler Wunsch war.
    Esterházy schloß die Augen und suchte irgendwo in seinem Inneren nach einem Ankerplatz, der ihn zur Ruhe kommen ließ. Wie ein Schiff in stürmischer See. Doch er fand keinen. Tosende Wellen türmten sich vor ihm auf. Die eiskalte Gischt peitschte ins Gesicht.
    Sanft wurde er nach rechts gegen die Tür gedrückt. So wurde er gewahr, daß sie nun auf der Offenbacher Landstraße entlangfuhren. Unweigerlich rückte das Ziel näher. Vergebens versuchte Esterházy, seine Atmung zu regulieren. Jetzt führt das Leben Regie, sinnierte er, oder vielmehr der Tod.
    Als sie an Sankt Georgen vorbeikamen, öffnete er die Augen. Sein Kopf war gegen die Scheibe gelehnt. Die von Laternen illuminierten Bäume betrachtete er wie ein Regisseur, der nach Motiven für einen düsteren Streifen Ausschau hielt. Das paßte, dachte er, schließlich bin ich mitten in einem französischen Film noir. Seine Nervosität verflüchtigte sich und wich einer Wärme, die vom Bauch ausging.
    Das änderte sich schlagartig.
    „Licht an, du Idiot“, fluchte Jens Auer. Übrigens der letzte Fluch in seinem Leben.
    Ein Radfahrer mit freiem Oberkörper hatte vom Lettigkautweg kommend die Fahrbahn überquert, ohne sich um die Vorfahrt zu kümmern.
    „Können Sie nicht aufpassen?“ wies Esterházy den Fahrer mit einer Aggressivität zurecht, die ihn selbst erschreckte. Vom verkehrswidrigen Verhalten des Radfahrers hatte er nichts mitbekommen.
    Von Natur aus war Jens Auer wenig selbstbewußt. Immerfort suchte er Fehler zuerst bei sich selbst. In seiner Kindheit hatte seine große Schwester Elly den Ton angegeben und ihn in seiner weiteren Entwicklung geprägt. Von daher war es nur logisch, daß er sich sofort in der Defensive sah. „Entschuldigung“, rutschte es aus ihm heraus.
    „Entschuldigung“, echote Esterházy. Wie unter hypnotischem Zwang, und weil er selbst ob seines Aufbrausens bestürzt war, versuchte er, der Situation die Schärfe zu nehmen: „Sorry, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich habe schwere Zeiten hinter mir.“
    „Kein Problem, wir sind gleich da.“ Zwar hatte das eine mit dem anderen nichts zu tun, aber Jens Auer war froh, daß sich die Wogen so schnell wieder geglättet hatten. Er setzte den Blinker, um nach rechts in die Darmstädter Landstraße abzubiegen.
    Als er die vielen wartenden Kollegen am Affentorplatz sah, beschloß er, die Schicht nach dieser Fahrt für heute zu beenden. Die Taxis standen bereits verbotswidrig auf der Busspur. Früher hatten die Wochenendschichten bedeutend mehr Einnahmen gebracht.
    Ihm war flau im Magen. Esterházy atmete schwer. Paranoia kam auf, als er die vielen Fußgänger an der Ampel zur Alten Brücke sah. Eine offenbar zusammengehörende Gruppe Jugendlicher grölte, was das Zeug hielt. Nüchtern war

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