Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
Schweitzer und Melibocus amüsierten sich fürstlich, als sie all die ungläubigen Gesichter sahen.
Derjenige, der als erster wieder klar denken konnte, war ein weitgereister Handelsvertreter. Lautstark fragte er seinen Tischnachbarn, von dem er annahm, daß er hier wohnte: „Kommt der vom Pokern?“
Die beiden Freunde konnten nicht anders, sie mußten losprusten.
Herr Schweitzer: „Der war gut.“
„Gelle“, bestätigte Melibocus in Frankfurter Manier. „Das muß ich mir merken.“
Gemeinsam gingen sie noch bis zum Sachsehäuser Käsblättche, dann verabschiedeten sie sich voneinander.
Behende wie ein junges Reh betrat Herr Schweitzer eine Minute später die Dönerbude in der Brückenstraße. Der Betreiber, der gleichzeitig auch Dealer war, begrüßte einen seiner besten Kunden überschwenglich. Und ganz zufällig war auch gerade eine neue Lieferung eingetroffen. Giorgio-Abdul wußte, wie man mit Premium-Kundschaft umging. Er schob Herrn Schweitzer eine Zigarettenschachtel zu. „Hier, nimm! Ist ein Gratispröbchen vom Fachhandel. Und wenn du bist zufrieden, komm schnell wieder. Sind nur zwei Kilo auf Lager. Geht schnell weg, glaub mir. Aber sei vorsichtig, sehr vorsichtig. Ist das reinste Zauberzeug, ich schwöre.“
Heute scheint mein Glückstag zu sein, dachte Herr Schweitzer, ein Tag wie aus dem Bilderbuch. „Danke, ich werde es gleich antesten.“
Und schwuppdiwupp war er wieder draußen. In Höhe der Krimibuchhandlung Wendeltreppe steckte sich Herr Schweitzer die Tüte an. Stefan Bouxseins und Peter Rippers neuste Krimis standen im Schaufenster. Er nahm sich vor, sie sich demnächst zuzulegen. Als Detektiv war man ja geradezu verpflichtet, sich mit der Unterwelt auseinanderzusetzen. Ob fiktiv oder real war egal.
Sehr real allerdings war das Zauberzeug. Als Herr Schweitzer an der Alten Brücke die Stufen zum Main hinunterging, hatte er erst zwei Mal gezogen. Und doch war ihm bereits die schlafwandlerische Sicherheit profanen Gehens abhanden gekommen. Seine Knie waren aus Gummi und der Himmel orange. Und einen Heißhunger hatte er obendrein. Zum Glück hatte er noch die Brezel. Schade, daß er sich nicht noch mehr davon gekauft hatte. Oder gleich einen ganzen Sack voll.
Herr Schweitzer dachte an Laos zurück. Vor etwas mehr als zwei Jahren war er mit Maria dort gewesen und hatte ähnliche Erfahrungen mit Dope aus dem Goldenen Dreieck sammeln dürfen. Auch damals hatte es ihn schier umgeworfen.
Unten angekommen warteten bereits Gänse und Schwäne darauf, ihm Übles anzutun. So kam es Herrn Schweitzer zumindest vor. Um das Federvieh nicht unnötig zu reizen, was dann möglicherweise einen taktischen Frontalangriff heraufbeschworen hätte, schlich er ganz langsam an ihnen vorbei.
Gefühlte acht Stunden später hatte er den Eisernen Steg erreicht. Eine enorme Leistung für die läppischen paar Meter. Mit Hilfe des Geländers gelangte er wieder nach oben. Das Café, das dort seit einigen Jahren betrieben wurde, hatte noch einige freie Plätze zu bieten, was Herr Schweitzer dankbar zu nutzen wußte. Er pflanzte sich auf einen Stuhl mit Blick zum Main. Die Füße streckte er weit von sich.
Er bestellte sich eine große Cola. Weiteren Alkohol wollte er nicht riskieren. Auch so hatte er schon genug mit sich zu kämpfen. Die Augen waren bereits auf Halbmast, seine Sinne benebelt wie London im Spätherbst.
Hallo-hallo, dachte er, was hat der Giorgio mir da bloß angedreht. Okay, er hatte ihn auch gewarnt, aber er, Herr Schweitzer, hatte es als branchenübliches Marketing abgetan. Ein Riesenfehler, wie er zugeben mußte. In Hibbdebach neigten sich nämlich die Bankentürme gefährlich zur Seite. Außerdem grenzte es an ein Wunder, daß die
Wappen von Frankfurt
, ein Ausflugsdampfer, trotz Kollisionskurs einem mit Touristen besetzten Tretboot im allerletzten Moment noch ausweichen konnte. Kurzum, ein Mordsspektakel spielte sich vor seinen Augen ab. Und zwar in allen Farben des Regenbogens.
Als die Dame am Nachbartisch einen Ouzo serviert bekam, ging’s erst richtig ab. Das gelbe Anisgesöff brachte Herrn Schweitzer nämlich zum Ouzo-Schorsch und darauf, was der in letzter Zeit für einen Unsinn von sich gegeben hatte. Worte und Satzfragmente geisterten in seinem Hirn herum. ‚Jesus, Osterhasi, Joschka Fischer, Esterházy, Jesus war ein Taxifahrer und tot, der Außenminister fett wie ein Otter.’ Beim letzten Halbsatz hielt Herr Schweitzer plötzlich inne. ‚Fett wie ein Otter’, wo hatte er das
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