Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
mehr. Geschlagene fünf Minuten irrte er treppauf, treppab durchs Gebäude, bis er zwar nicht den Ausgang, dafür aber eine Bar fand.
Alkohol ist dein Sanitäter in der Not, sagte er sich Grönemeyer-like und bestellte sich ein Bier. Zu seinem Entsetzen hatten sie nur Null-Dreier-Gläser. Seinem Zustand gemäß wäre aber ein 20-Liter-Faß besser gewesen.
„Macht vier Euro, bitte.“
Doch Herrn Schweitzers Geld war im Portemonnaie, das Portemonnaie in seinem Jackett und das Jackett noch im Mozartsaal. Eine gut vorbereitete und bis ins letzte Detail ausgeklügelte Flucht sah definitiv anders aus.
„Äh, sorry, mein Geld, im Saal, Ensemble Modern …“, stotterte er sich einen ab.
Das Blatt wendete sich. Das Glück war ihm wieder hold und der Kellner locker drauf. „Dann zahlen Sie halt später.“
„Danke.“ Selten zuvor wurde ein Bier dergestalt rasant gezecht. „Aaaaah. Tut das gut.“ Eine Werbeagentur für einen Brauerei-Spot könnte sich an Herrn Schweitzers glückseligem Gesichtsausdruck eine Scheibe abschneiden.
Nun, da er sich viele Feinde geschaffen hatte, brauchte er Freunde. Herr Schweitzer klagte dem Kellner sein Leid. Natürlich erzählte er ihm nicht die ganze Geschichte – das hätte er auch gar nicht gekonnt, der Verdrängungsmechanismus hatte längst eingesetzt –, aber das mit dem scheiß Wecker und daß der plötzlich so hoppla-hopp losgegangen sei, dafür war er sich nicht zu schade.
Der noch recht jugendlich wirkende Kellner mit der unzeitgemäßen Vokuhila-Frisur und dem schmalen Oberlippenbärtchen amüsierte sich. Ansonsten war sein Job eher monoton. Für ihn war der durchschwitzte Kerl eine willkommene Abwechslung. Außerdem konnte er seinen Freunden nach Feierabend eine tolle Geschichte erzählen. Als Gegenleistung zapfte er ihm ein Bier nach dem anderen.
Nach dem siebten in dreizehn Minuten: „Sie haben aber einen ganz schönen Durst.“
Herr Schweitzer: „Ja, ich glaube, ich bin unterhopft.“
Maria von der Heide war nach ihres Liebsten unrühmlichem Abgang stoisch sitzengeblieben. Was hätte sie auch tun sollen? Im Gegensatz zu Herrn Schweitzer fand sie nämlich die dargebotenen Zappa-Variationen künstlerisch sehr wertvoll. Außerdem hatten sich die Gemüter, nun da der Kunstbanause und Master of disaster aus dem Saal geflohen war, schnell wieder beruhigt. Allgemein tat man, als wäre nie etwas geschehen.
Nach zwei Zugaben war das Konzert beendet. Als Maria Herrn Schweitzers Jackett vom Boden aufhob, fielen ein paar Schräubchen und zerbrochene grüne Plastikteile unterschiedlicher Größe heraus.
Maria wunderte sich nicht, ihren Freund im Foyer nicht vorzufinden. Wahrscheinlich befürchtete er ein Nachspiel, sollte er den anderen Konzertbesuchern über den Weg laufen.
Außerdem hatte sie es sich schon vor langer Zeit abgewöhnt, sich um ihren Simon zu sorgen. Egal was passierte, er war ein Stehaufmännchen, stets fiel er wieder auf die Füße.
So kam es, daß Maria vom Foyer direkt die nächstbeste Bar der Alten Oper aufsuchte. Als einfühlsame Frau, die ihren Partner zu kennen glaubte, vermutete sie ihn dort.
Zwar hatte Herr Schweitzer indes ganz viele Biere intus, aufgrund des revoltierenden Adrenalins aber keinerlei Ausfallerscheinungen. Noch befürchtete er, auch Maria habe den Stab über ihn gebrochen.
Um so glücklicher war er, als ihn seine Freundin herzlich wie immer begrüßte: „Ei gucke ma da, da isser ja, unser kleiner Rabauke.“ Sie strahlte übers ganze Gesicht.
„Ei, Maria“, erwiderte Herr Schweitzer. „Gut, daß du kommst. Ich hab hier nämlich ein paar Schulden gemacht. Mein Geld ist doch noch im Jackett, oder?“ Er, der Atheist, dankte heimlich dem Himmel, daß wenigstens noch ein Mensch zu ihm hielt. Na gut, zwei, wenn man den Kellner dazurechnete.
„Weiß ich doch nicht. Das einzige, was ich definitiv weiß, ist, daß dein Wecker nicht mehr funktioniert. Daß du auch immerfort alles kaputtmachen mußt, tz, tz. Einfach auf das arme Teil so einzutreten. Ich weiß nicht, Simon, ich weiß nicht. Das war doch nicht nötig.“
Und ob das nötig war, dachte Herr Schweitzer.
„Ich liebe dich“, flötete Maria, einer plötzlichen Gefühlswallung nachgebend.
Er wußte, was dahintersteckte. Das sagte Maria nicht nur, wenn sie es tatsächlich so meinte, sondern auch, wenn sie ihn mal wieder außerordentlich putzig fand. Normalerweise haßte es Herr Schweitzer wie die Pest, von wem auch immer für putzig gehalten zu werden. Doch in
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