Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
Anbetracht der turbulenten Ereignisse der unmittelbaren Vergangenheit war putzig von allen erdenklichen Eigenschaften, die man ihm nun anhaften konnte, noch die harmloseste. Also akzeptierte er sie. „Ich dich auch, mein Schatz.“
Sie küßten sich. Der Kellner wandte sich beflissentlich dem Gläserputzen zu.
„Ich könnte jetzt einen Wein vertragen, Simon“, sagte Maria kurz darauf.
Herr Schweitzer stand seiner Umgebung noch immer recht unleidlich gegenüber. Am liebsten würde er den heutigen Abend ungeschehen machen. Da er sich aber der Unmöglichkeit dessen bewußt war, mußte er sich wohl oder übel mit dem schwärzesten Tag seines Lebens abfinden. Auch ihm stand der Sinn nach Wein.
Als sie eine Stunde später in die klare Mondnacht traten, hatte Maria einen kleinen Schwips und Herr Schweitzer noch immer Angst, dem Hünen zu begegnen. ‚Wir sehen uns noch.’ Diese Worte würde er so schnell nicht vergessen. Der Typ war stärker als er.
„Wollen wir noch ins Weinfaß?“ fragte Maria, als sie der U-Bahn-Station am Südbahnhof entstiegen.
Eigentlich wollte Herr Schweitzer den Krempel für heute hinschmeißen und sich in sein Bett zurückziehen. Mit allen drei Kissen über dem Kopf.
Maria interpretierte sein Zögern fehl: „Ich erzähl auch nix.“
„Ach, das ist mir egal. Wer den Schaden hat …“, begann Herr Schweitzer.
„… braucht für den Spott nicht zu sorgen“, vollendete Maria. „Komm, gehen wir. Ich gebe dir auch einen Schnaps aus. Den wirst du brauchen können. Du bist ja noch ganz aufgewühlt.“
Angriff ist die beste Verteidigung, hatte sich Herr Schweitzer gesagt. Außerdem gierte das einfache Volk nach Tratsch. Da er seine Maria kannte und wußte, ewiglich würde sie sein Debakel nicht geheimhalten, hatte er kurzerhand beschlossen, sich selbst zum Gespött zu machen. Damit hatte Herr Schweitzer noch nie Mühe gehabt, schließlich erwischte es jeden einmal. Sachsenhausen war voller kursierender Geschichten und Anekdoten, in denen die unterschiedlichsten Leute zu Lachnummern degradiert wurden.
Leider waren im Weinfaß nur Karin und Weizenwetter sowie der Ouzo-Schorsch, Buddha Semmler und Bertha, die Wirtin, zugegen. Das hatte den Vorteil, daß sich das Gelächter im unteren Dezibelbereich bewegte. Der Nachteil bestand darin, daß es dauern würde, bis sich sein Mißgeschick überall in Dribbdebach herumgesprochen hatte. Herr Schweitzer mußte sich also darauf gefaßt machen, noch für Tage und Wochen Gesprächsthema zu sein.
Einzig der Ebbelwei-Kellner Buddha Semmler konnte keine Ruhe geben. Obwohl Herr Schweitzer bereits zwei Mal ausführlich berichtet hatte, wobei Maria die eine oder andere Gedächtnislücke des Gepeinigten schließen mußte, forderte er andauernd Zugaben, als wäre man noch immer in der Alten Oper.
Doch Herr Schweitzer wußte sich zu helfen und blieb stur. Er trank, wie von Maria empfohlen, Schnaps. An der Tatsache, einen Tag erwischt zu haben, an dem man selbst einen Stecker falsch herum in die Dose stecken würde, war eh nichts zu ändern. Aber Schnaps war bestens dafür geeignet, dem Abend seine Ecken und Kanten zu schleifen, bis sie so rund waren wie die eigenen Füße.
Erst als der Ouzo-Schorsch noch vor Mitternacht zahlte, erinnerte sich Herr Schweitzer wieder an seine Gedanken vor dem spektakulären Wecker-Einsatz.
Und diese hielt er fortan fest, klammerte sich an sie und nahm sie mit ins Bett. Diesen Esterházy würde er sich gerne mal angucken.
Da war es aber schon nach zwei.
Nach dem gestrigen Tag wollte Herr Schweitzer einfach nicht aufwachen. Die Traumwelt war süßlich, die Realität bitter. Sein Unterbewußtsein wußte, was demnächst alles auf ihn zukam. Immer und immer wieder würde er den lieben langen Tag lang von Sachsenhäuser Mitbürgern auf irgendwelche ominösen Weckergeschichten angesprochen werden. Da war es schon besser, noch ein Weilchen liegenzubleiben.
Erst als sich der Esterházy in seines Halbschlafs bunte Bilderwelt schlich, stand er auf.
Ohne sich um Kaffee zu kümmern, wie Herr Schweitzer ansonsten seine Tage begann, ging er schnurstracks ins Badezimmer. Er haßte kaltes Wasser. Trotzdem stellte er sich unter die Dusche. Eine Minute probierte er es mit lauwarm. Als er sich abgehärtet genug wähnte, wechselte er auf eiskalt. Obschon es die reinste Folter war, hielt er eine Minute durch.
Danach fühlte er sich für den Tag gerüstet. Er machte sich auf die Suche nach Maria.
Im Wohnzimmer wurde er fündig. Das sich
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