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Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Titel: Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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und verlassen den Saal. Bitte!“
    Tütt-tütt, tütt-tütt.
    Der sich nun im Existenzkampf befindliche Herr Schweitzer wußte sich nicht anders zu helfen. Er schmiß sein Jackett auf den Parkettboden und stampfte beherzt mit dem rechten Fuß drauflos. Ein letztes Tütt und der Wecker verstummte für immer. Sein persönliches Fiasko war vollendet.
    Wie beim Untergang der Titanic spielte die Kapelle seelenruhig weiter.
    „Wir sehen uns noch“, meinte der Dicke und richtete seinen Blick wieder auf die Bühne. Die anderen begnügten sich damit, ihre Köpfe zu schütteln.
    Herr Schweitzer rang nach Sauerstoff. Sein Hemd war klitschnaß und die Hände zitterten wie Espenlaub. Er wollte weg von hier. Nach Sibirien, in die Wüste, egal, Hauptsache weg. Selbst nach Offenbach wäre er auf allen Vieren gekrochen, um politisches Asyl zu beantragen.
    Was mache ich jetzt, fragte er sich. Aufstehen und Gehen war genauso unmöglich wie Bleiben. Immer wieder drehten sich vereinzelt Leute nach Herrn Schweitzer um. Würde er nackt hier sitzen, es käme aufs gleiche hinaus. Er hatte sich aufgeführt wie die Axt im Walde und wußte es auch. Ihm war, als wäre seine letzte Stütze Maria so weit als nur irgend möglich von ihm weggerückt. Sie ignorierte ihn. Der einsamste Mensch der Welt sackte in sich zusammen. Vom Selbstbewußtsein war er so weit entfernt wie die Pharmaindustrie von homöopathischen Heilmethoden. Herr Schweitzer machte sich ganz klein.
    Vorne wurde gerade das Stück beendet. Die Musikusse sahen sich verstört an. Der Klarinettist flüsterte dem Pianisten etwas ins Ohr. Nur zögerlich kam Applaus auf. Die Geigerin trat an den Bühnenrand und zuckte entschuldigend mit der Schulter.
    Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, dachte sich wohl der korpulente Herr aus der ersten Reihe. Völlig unüblich erhob er sich, klatschte vehement in die Hände und rief: „Bravo.“
    Es dauerte einen kleinen Augenblick, dann hatte auch das restliche Publikum begriffen, was er damit zum Ausdruck bringen wollte: das Ensemble Modern sei nämlich völlig schuldlos am mißlungenen Hörgenuß. Schnell hatten sich alle von ihren Sitzen erhoben und stimmten mit ein. Die Bravissimo-Rufe mündeten in einem wahren Crescendo. Wären im Großen Saal der Alten Oper zur gleichen Zeit die Sex Pistols aufgetreten, der Schlagzeuger hätte wohl entnervt seine Drums in die Ecke geschmettert.
    Als das Brausen und Tosen nach drei Minuten allmählich verebbte, ergriff die Geigerin das Mikrophon und zeigte sich von ihrer humoristischen Seite: „Sehr verehrtes Publikum, im Namen meiner Kollegen möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen für den spontanen Applaus bedanken. Wir möchten uns aber nicht mit fremden Federn schmücken. Der Wecker war nicht unsere Idee und von daher auch nicht geplant. Wir werden uns aber nach dem Konzert umgehend mit dem Herrn dort …“, sie nickte in die vage Richtung von Herrn Schweitzer, „… in Verbindung setzen, um über die Urheberrechte zu verhandeln. Ich bin sicher, wir werden uns über den Preis einigen können.“
    Was folgte, war ein Gegröle, Lachen und Schenkelklopfen, bei dem selbst Kabarettisten wie Dieter Nuhr und Ottfried Fischer vor Neid erblaßt wären.
    Damit war Herr Schweitzer der absoluten Lächerlichkeit preisgegeben. Und das war noch viel schlimmer als all die Peinlichkeiten zuvor. Ohne Tarnkappe, die er jetzt gerne gehabt hätte, und mit feuerrotem Erdbeerkopf eilte er gebückt von dannen, nachdem er seiner Maria noch „bis später im Foyer“ zugeraunt hatte.
    Nicht alle machten ihm auf Anhieb Platz. Die Sitzreihe zog sich gefühlte sieben gefährliche Kilometer in die Länge. Hier und dort bekam er klatschende Hände vors Gesicht gehalten. Manch einer klopfte ihm gar auf die Schulter. Es war einer der größten Spießrutenläufe der Geschichte. Dagegen war König Heinrichs Canossa-Gang ein Höflichkeitsbesuch bei Freunden.
    Endlich! Endlich war er draußen. Aufgrund der vorangegangenen Ereignisse hatte Herr Schweitzer seinen Kopf verloren und damit auch seinen Orientierungssinn. Die erste Tür, die er öffnete, war die Damentoilette. Da aber alle Damen im Konzertsaal waren, wurde er auch nicht der Lustmolcherei angeklagt.
    Die Beschilderung in der Alten Oper war vorzüglich. Quasi an jeder Ecke war ein Hinweis auf die Richtung des Ausgangs angebracht. Aber, wie gesagt, Herr Schweitzer hatte seinen Kopf verloren und dementsprechend für solche Feinheiten kein Auge

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