Das Geheimnis von Compton Lodge
Church gelangt? Die Tatsache, dass es eine weltliche Szene zeigt, ist ohnehin untypisch. Und dann noch zu allem Ãberfluss ein technisch schlecht ausgeführtes Gemälde aufzuhängen, ist selbst unserer Anglikanischen Kirche nicht zuzutrauen.« Er grinste diebisch. »Haben Sie sich eigentlich den Mann auf dem Kutschbock genauer angesehen? Nein? Das hätten Sie unbedingt tun sollen. Wir werden das schon sehr bald nachholen. Und zwar in ungezwungener Atmosphäre.«
»In ungezwungener Atmosphäre? Worauf wollen Sie hinaus?«
Ich ahnte bereits, was er im Sinn hatte, und er wusste, dass ich es wusste. Er hatte den Blick zum Fenster gewandt.
»Watson, ich hätte Sie überhaupt nicht fragen dürfen.«
»Das haben Sie ja auch noch nicht«, stellte ich fest, »aber dieses Mal habe ich Sie durchschaut, Holmes!«
Er sah mich prüfend an, verharrte einen Augenblick in dieser Pose und lachte auf.
»Also gut. Sei es, wie es sei. Sie sind also bereit, mit mir das Gemälde aus der Kirche zu bergen?«
»Wie können Sie nur eine solche Frage stellen«, antwortete ich überzeugt.
»Mein guter, alter Watson. Wir haben eine lange Nacht vor uns. Sie haben Ihren Revolver?«
Ich nickte.
»Wir werden ihn jedoch kaum benötigen, zumindest gehe ich davon aus.«
Wir gingen aufs Zimmer und legten uns hin. Gegen elf Uhr wachte ich auf. Mein Freund musste noch einmal unterwegs gewesen sein, denn es stand ein Koffer mit Einbruchswerkzeug auf dem Tisch.
»Wann hatten Sie vor aufzubrechen?«, wollte ich wissen.
Er prüfte seine Taschenuhr.
»In zwei Stunden, gegen eins.«
Ich bat ihn, mich eine Viertelstunde vor Abfahrt zu wecken. Holmes war in ein Buch vertieft und sah nur kurz auf.
»Schlafen Sie. Ich werde über Sie wachen.«
Dabei verzog er sein Gesicht zu einem Schmunzeln und widmete sich dann wieder seiner Lektüre. Ich drehte mich zur Wand und schlief wenig später ein.
Als wir das Inn zur vorgesehenen Zeit verlieÃen, war die Temperatur so stark gefallen, dass ich trotz meines Wintermantels erbärmlich fror. Die Kälte drang durch jede Naht. Holmes hatte einen Einspänner besorgt, auf dessen Bock wir gemeinsam Platz nahmen. Ich wickelte mir meinen Schal ums Gesicht, so dass praktisch nur noch meine Augen zu sehen waren. Die Nacht war sternenklar, und der Mond warf ein ausreichend starkes Licht, dass man die StraÃe erkennen konnte. Wir redeten die Fahrt über kein Wort, dann tauchte endlich Canterbury vor uns auf. Holmes steuerte die St. Martinâs Church auf direktem Wege an und stellte das Gefährt in einer SeitenstraÃe ab. Wir überquerten den Vorplatz des Gotteshauses und erreichten eine der kleinen hölzernen Nebentüren des Gebäudes. Er lieà mich die Blendlaterne entzünden, um das Schloss in Augenschein zu nehmen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen sie zu öffnen und einem kurzen ärgerlichen Fluch sprang die Tür schlieÃlich auf. Mein Gefährte gebot mir, die Laterne so weit wie möglich herunterzudrehen. Wir betraten das Mittelschiff und verharrten dort einen Moment. Das Mondlicht fiel durch die Scheiben und sorgte auf diese Weise für ausreichend Helligkeit. Holmes sah sich um und ging dann leisen FuÃes auf das Gemälde zu. Als wir die Nische erreicht hatten, lieà er sich die Blendlaterne geben und trat nah an das Bild heran. Gemeinsam hoben wir es aus der Halterung und wickelten es in eine Decke, die er in seiner Werkzeugtasche hatte.
»Rückzug, Watson«, flüsterte er mir zu.
Wir durchquerten die Kirche, öffneten vorsichtig die kleine Holztür und verlieÃen das Gotteshaus auf dem gleichen Weg, wie wir gekommen waren. DrauÃen bewegten wir uns an den Hauswänden entlang, bis zu unserer Kutsche. Die Eiseskälte war unerträglich. Nachdem wir Canterbury hinter uns gelassen hatten, hielt Holmes das Gefährt an. Ich war verwundert, verwies auf die Minusgrade, doch er winkte ab.
»Nebensache, mein Lieber. Wie können Sie jetzt an die Temperatur denken?«
»Es ist unmenschlich kalt. Ich weià noch immer nicht, warum wir mitten in der Landschaft stehen.«
»Das wissen Sie wirklich nicht?«
»Nein. Ich darf allerdings anmerken, dass dies alles erheblich besser zu verkraften wäre, wenn ich einen Sinn darin erkennen könnte, hier auszuharren.«
Er deutete unmissverständlich mit seinem Zeigefinger auf das
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