Das Geheimnis von Compton Lodge
Hände.
»Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, wurde ich vor gut zwanzig Jahren von der Anglikanischen Kirche mit der Lösung eines Rätsels betraut.«
Holmes sprach nicht weiter, sein Blick wanderte in der Kutsche umher.
»Ich glaubte, die Docklands-Morde im Londoner Hafenviertel aufgeklärt zu haben, als ich ein Telegramm aus Canterbury erhielt. Darin informierte mich Bischof Montgomery über einen absonderlichen Mord, nämlich die Enthauptung eines Priesters. Es gäbe auch schon einen Verdächtigen, dies sei aber nicht der Grund, warum er sich an mich wende. Ãberlegen Sie, Watson, die Tatsache, dass man einen Mann der Kirche enthauptete, und das auch noch in Canterbury â¦Â«, er lächelte hintersinnig, »war entweder ein äuÃerst schlechter Scherz oder es steckte eben etwas Anderes dahinter. Sie wissen natürlich, worauf ich hinaus will, werter Freund? Ich sagte also zu und reiste hierher. Schon bei meiner Ankunft und dem ersten Gespräch mit dem Bischof hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Der im Telegramm noch offene und einladende Ton änderte sich gleich bei unserem ersten Treffen. Und noch am selben Tag wurde mir nahegelegt, von einer Untersuchung nun doch abzusehen. Erst wollte ich ohne Zustimmung weiter ermitteln, aber eine unvorhersehbare Wendung bei den Docklands-Morden machte meine Rückkehr nach London unumgänglich. Da sich der Fall ungewöhnlich lange hinzog und meine volle Aufmerksamkeit erforderte, war nach dessen erfolgreichem Abschluss zu viel Zeit vergangen; die Spur in Canterbury war erkaltet. Es hätte erheblicher Mühen bedurft, sie wieder aufzunehmen und die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelingen würde, war nicht gerade hoch. Zudem hatte ich keinen Auftrag mehr. Doch jetzt, da wir ohnehin hier sind und Ihre Vergangenheit unter die Lupe nehmen, mein lieber Watson, schlieÃe ich diesen auÃergewöhnlichen Mord mit ein. Meist gibt es zwischen zwei solch bemerkenswerten Ereignissen, die praktisch an einem Ort geschehen sind, einen Zusammenhang.«
Wir erreichten Canterbury und steuerten nun auf die altehrwürdige St. Martinâs Church zu. Die StraÃen waren menschenleer, und der kalte Wind blies uns in die Gesichter. Butler hielt in der North Holmes Road. Mit hochgeschlagenen Krägen überquerten wir die StraÃe und betraten die im Dunkeln des Abendlichts liegende Kirche.
»Hier lang«, sagte Holmes und deutete mit schneller Handbewegung auf eine Nische im linken Seitenschiff. »Ich bin gespannt«, lieà er noch beiläufig fallen.
Die mitgebrachte Gaslampe hatte er auf eine der Betbänke gestellt. Meine Aufmerksamkeit fiel auf einen Ziegelsteinbogen, der in die Wand eingemauert war. Zu meiner Ãberraschung hing dort, neben einem imposanten Gemälde, das Jesus am Kreuz zeigte, ein kleines, unscheinbar wirkendes Landschaftsgemälde. Bei genauerer Betrachtung entpuppte sich ein Teil des Bildinhaltes als auÃergewöhnlich: Zu sehen war ein Blick aus der Vogelperspektive über Felder, vornehmlich Hopfen und Obst, im Hintergrund das Meer. Es handelte sich offenkundig um einen Landschaftsteil der Grafschaft Kent. Rechts im Vordergrund war eine Szene dargestellt, die mein Interesse erregte. Eine Kutsche stand hinter einer Kurve auf der LandstraÃe, auf dem Bock saà ein Mann. Ein Stück weiter ging ein schmaler Weg ab, der im Nirgendwo endete. Es mussten sich mehrere Personen im Innenraum der Kutsche befinden, denn die Räder waren recht tief in den morastigen Boden eingesunken. Auf der schwarzen Wagentür stand unter dem Wappen von Canterbury etwas mit weiÃer Farbe geschrieben. Nur würde ich eine Lupe brauchen, um es zu entziffern.
»Ich kann Ihnen sagen, was auf dem Wagen steht.«
Bei diesen Worten schreckte ich auf, Holmes stand unmittelbar hinter mir.
»Zum Donnerwetter! Können Sie sich nicht wie jeder andere Mensch verhalten?«, fuhr ich ihn an.
»Und? Was sagt Ihnen das Gemälde?«
»Nun, ich finde es eigenartig, es wirkt nicht fertig, geradezu unharmonisch.«
»Ausgezeichnet, Watson. Unharmonisch, ja, so könnte man die Darstellung durchaus charakterisieren. Und wenn Sie es konkreter ausdrücken müssten, nicht mit einer Ihrer schwammigen Umschreibungen?«
»Ich weià wirklich nicht, was an dieser Formulierung unpräzise sein soll.«
»Versuchen Sie einfach Ihr Gefühl so direkt und präzise wie möglich
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