Das Geheimnis von Compton Lodge
Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich dabei bin, meinen Verstand zu verlieren? Oder?«
»Für einen Moment â¦Â«
»Sie haben zuweilen das Vorstellungsvermögen einer Blendlaterne, mein Lieber.«
Bevor ich protestieren konnte, fuhr er fort: »Ich bin mir sicher, dass der geheimnisvolle Besucher von Compton Lodge etwa so dicht wie ich jetzt hinter der Wand gestanden hat, als wir den Spiegel betrachtet haben. Sie erinnern sich?«
»Ein geheimnisvoller Besucher, Holmes?«
»Sagen Sie bitte nicht, dass Ihnen das verborgen geblieben ist!«
»Ich, also â¦, nein!«
»Sie hatten keine Ahnung. Und was sollte, Ihrer Meinung nach, das mehrfache Umrunden des Hauses für einen Sinn haben?«
Ich stand auf und ging zum Kamin, um mir eine Zigarette vom Sims zu nehmen.
»Möchten Sie auch eine?«, versuchte ich von mir abzulenken.
»Ja, Watson. Nur ändert das nichts an Ihrer miserabelen Beobachtungsgabe.«
»Jetzt kommen Sie doch endlich von der Wand weg und erzählen Sie.«
Mein Gefährte verharrte jedoch stoisch in derselben Position.
»Lassen Sie mich noch einmal auf unser Bild zurückkommen. Was genau sehen Sie hier am Ende dieses schmalen Pfades?«
»Ein Hopfenfeld, Holmes. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn Sie die Güte hätten, sich nicht wie ein Verrückter zu verhalten, wäre mir bedeutend wohler.«
Ich konnte meine aufkommende Rage nur schlecht verbergen. SchlieÃlich drehte er sich auf dem Absatz um, sah mich an und schien erst einmal nicht zu begreifen, warum ich mich so ereiferte.
»Mein lieber Watson, was verbirgt sich Ihrer Meinung nach unter dem Hopfen?«
Ich schwieg und wartete darauf, dass er mir die Antwort geben würde. Holmes bearbeitete die Bildoberfläche mit dem Skalpell.
»Der groÃe Moment naht.«
Er hob mit einer vorsichtigen Bewegung das zweite Stück doppelte Leinwand ab. Was darunter zum Vorschein kam, versetzte mich in Erstaunen. Der FuÃweg führte auf eine recht breite Allee, die auf einem Vorplatz endete.
»Aber, das ist ja â¦Â«
»Genau Watson, das ist Compton Lodge. Und jetzt kommen Sie bitte, wir haben noch etwas vor.«
Ich sah zu der kleinen Standuhr auf der Kommode gegenüber, die Viertel vor vier zeigte.
»Was sollen wir noch vorhaben?«
Holmes war bereits dabei, das Bild wieder in eine Decke zu hüllen.
»Und wo wollen Sie mit dem Bild hin?«, fragte ich weiter.
»Wir bringen es dahin zurück, wo wir es geholt haben.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
»Mein lieber Watson, es ist von fundamentaler Wichtigkeit, dass unsere Gegenspieler wissen, was wir wissen. Ihre Reaktion wird nicht lange auf sich warten lassen.«
Er sprach in Rätseln.
»Brauchen Sie mich denn?«
»Und Ihren Revolver.«
Ich zog meinen Mantel über. Mir graute vor der Vorstellung, noch einmal in dieser Nacht nach Canterbury zu müssen. Allerdings schien die Mission gefährlich, weshalb ich meinen Gefährten natürlich begleiten würde. Wir verlieÃen das Pigeons Inn. Er holte den Einspänner aus dem benachbarten Schuppen, und nur wenige Minuten später befanden wir uns wieder auf der LandstraÃe.
»Was erwartet uns, Holmes?«
»Lassen wir uns überraschen.«
Ich schwieg und versuchte mir auszumalen, was uns bevorstand. Lauerte man uns womöglich auf? Würden wir in der Kirche warten, bis jemand die Veränderung am Bild bemerkte? Ich hatte den Kragen des Mantels aufgestellt und den Schal tief ins Gesicht gezogen. Die Kälte raubte einem fast den Verstand. Bald darauf erreichten wir zum zweiten Mal in dieser Nacht die Kapitale des anglikanischen Glaubens. Bis auf die Tatsache, dass es jetzt noch kälter war, erschien mir die Duplizität unseres Vorgehens beinahe irritierend. Als wir endlich das Kirchenschiff durchschritten und Holmes zielstrebig auf die Stelle zusteuerte, an der das Bild ursprünglich hing und wieder seinen Platz finden würde, flüsterte er mir etwas zu:
»Zwei Fäden sind zu verfolgen: Der Besuch von Ihnen und Ihrer Familie auf Compton Lodge sowie der tote Pfarrer am Strand. Die Ereignisse stehen in keinem direkten Zusammenhang, aber sie verweisen beide auf unser eigentliches Problem. Etwas muss vor Ihrem verhängnisvollen Besuch auf Compton Lodge stattgefunden haben und liegt bislang noch im Verborgenen. Ich habe morgen früh ein weiteres Gespräch mit Bischof
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