Das Geheimnis von Digmore Park
alles andere als gelegen! Wie gern wäre er nach London gereist und hätte seine schöne Frau mit stolzgeschwellter Brust der staunenden Öffentlichkeit präsentiert. Er, der unbeliebte, wegen mangelnder sportlicher Betätigung oftmals verlachte Bakerfield, hatte eine Traumfrau vor den Traualtar geführt. Da würde den affektierten Dandys der Hauptstadt der Mund vor Staunen offen stehen bleiben! Doch noch war es nicht so weit, noch musste er hierbleiben und gewisse Dinge zu Ende bringen. Und diese Dinge waren alles andere als angenehm! Hoffentlich war Louise nicht allzu enttäuscht, wenn sie seine Pläne und damit die ganze Wahrheit herausfand. Doch er tat alles nur ihr zuliebe.
Lady Bakerfield schmollte zwar immer noch, doch sie tat, wie ihr geheißen, und setzte sich auf seinen Schoß. „Ach Edward, warum dauert denn das alles so lange?“, quengelte sie zwischen zwei Küssen.
Edward stimmte in ihr Seufzen ein. „Das weiß ich doch auch nicht. Glaub mir, ich habe mir das auch anders vorgestellt. Dewary verhält sich oft seltsam, das ist typisch für ihn.“
Mylady sprang vom Schoß ihres Gemahls auf, um an der Teetasse zu nippen. Er ließ sie nur ungern frei. „Halte mich bitte nicht für verrückt, aber ich spüre , dass mein Cousin sich hier irgendwo in der Nähe aufhält. Wenn wir ihn nur anlocken könnten!“
„Entschuldige bitte, mein Lieber, was soll ich denn noch tun, um ihn anzulocken?“, entrüstete sich ihre Ladyschaft. „Du warst dir doch so sicher, dass die Tatsache, dass es seinem Vater schlecht geht, Dewary dazu bringen würde, unverzüglich hier aufzukreuzen. Und jetzt geht es dem Alten schon seit Wochen immer schlechter, und sein Sohn ist immer noch nicht hier.“
Manchmal gefiel Edward der Tonfall seiner Gattin nicht, er gefiel ihm vielmehr ganz und gar nicht. „Wie redest du denn, mein Täubchen?“, sagte er daher mit liebevollem Tadel.
Der Blick, den Mylady ihrem Mann nun schenkte, war alles andere als liebevoll. Edward seufzte, es war so schwer, sich an ihre wechselnden Launen zu gewöhnen. Eben noch verspielt und lieb wie ein Kätzchen, kurz darauf schon wieder wild und fauchend wie ein verletzter Löwe. Nie wusste man, woran man bei ihr war.
Mylady kehrte an seine Seite zurück und bat ihn lächelnd um Entschuldigung. „Sei mir bitte nicht böse, mein Lieber, aber ich habe einfach kein Verständnis für Menschen, die zu selbstsüchtig sind, um sich um ihre eigenen Eltern zu kümmern. Ich selbst bin jahrelang nicht von Mamas Seite gewichen …“
„… bis ich kam und dich ihr wegnahm!“
Sie warf ihm eine Kusshand zu. „Bis du kamst, um meinem Leben völlig neue Möglichkeiten zu geben!“, verbesserte sie ihn. Lord Bakerfield gab ihr einen Kuss auf die Wange. Mylady nahm die Briefe wieder zur Hand. Ich bin, dachte er, ein wahrhaft glücklicher Mann!
„Sieh nur, Edward, da ist ein Brief aus Worthing!“, riss Mylady ihn aus seinen Gedanken. „Ein besonders dickes Schreiben, wie mir scheint. Mama hat sich doch nicht etwa in außergewöhnliche Unkosten gestürzt und einen Brief geschickt, der aus zwei Blättern besteht!?“
Rasch hatte sie das Siegel gebrochen und das Schreiben auseinandergefaltet. Dabei fiel ihr, zu ihrer Überraschung, ein zweites Blatt Papier entgegen, das viel kleiner zusammengefaltet war. Sie beugte sich hinunter, um es vom Boden aufzuheben.
„Das ist nicht Mamas Handschrift“, stellte sie fest und runzelte die Stirn. „Findest du das nicht auch seltsam, Edward?“
Ja, Edward fand das auch seltsam. Er riet ihr, den Brief erst einmal zu lesen, vielleicht würden sich die Dinge damit aufklären. Das Schreiben seiner Schwiegermutter, die er kaum kannte, scherte ihn nicht im Geringsten. Er nahm das Zeitunglesen wieder auf. Es war besser, nicht zu viel darüber zu grübeln, was hier rund ums Haus vorging. Man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Gebe Gott, dass er Dewary abfing, bevor es ein anderer tat, damit die Vergangenheit wirklich ruhen konnte. Das Journal brachte die erhoffte Ablenkung. Es war immer aufschlussreich zu lesen, wie die Dinge auf dem Kontinent standen. Dass es die Truppen noch immer nicht geschafft hatten, diesem korsischen Ungeheuer den Garaus zu machen, war ihm ein Rätsel!
„Meine liebe jüngste Tochter“, las Lady Bakerfield leise, „ich hoffe, dein Mann und du, ihr erfreut euch bester Gesundheit. Wie du weißt, leide ich seit geraumer Zeit an beachtlichen Schmerzen in meinem Rücken, und der Doktor …“ Bla, bla, bla!
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