Das Geheimnis von Digmore Park
War der Major am Ende längst nicht mehr in Sicherheit?
Unruhig wanderte Elizabeth in ihrem Zimmer auf und ab, ließ sich auf dem kleinen Fauteuil nieder, nur um sofort wieder aufzustehen. Ein Blick durch das Fenster trug auch nicht dazu bei, sie zu beruhigen. Im Gegenteil, es kam ihr vor, als würden die Wachen mit jedem Tag, den sie hier war, um einige mehr. Den dort zum Beispiel, den bulligen Kerl mit den fettigen braunen Locken, den hatte sie noch nie gesehen. Wo Mama nur blieb? In einer guten Stunde würde das Abendessen serviert werden. Mama musste sich noch umkleiden! Sie würde sich doch nicht verspäten? Gerade heute, wo es so wichtig war, dass das Dinner pünktlich in vollem Gange war, damit Charlie den Riegel der Haustüre zurückschieben konnte, ohne dass jemand etwas merkte. Um kurz nach sechs würde Dewary kommen … Wie immer, wenn sie an den Major dachte, schien ihr Herz stärker zu klopfen. Heute hatte es doppelten Grund dazu. Elizabeth nahm ihre Wanderung durch den Raum wieder auf. Sie verknotete ihre schweißnassen Hände ineinander. Wo Mama nur blieb? Sie horchte auf. Da endlich, die erlösenden Schritte auf dem Flur. Elizabeth riss die Tür auf.
„Na endlich, Mama, warum in aller Welt hat das so lange …“
Doch es war nicht Mama, die da mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen vor ihr stand, es war Lady Bakerfield.
„Mein Gott, Miss Porter, Sie haben mich aber erschreckt!“ Sie wusste anscheinend nicht, ob sie lachen oder nach Luft schnappen sollte. „Ich wollte eben klopfen!“
Elizabeth trat einige Schritte zurück. „Entschuldigen Sie bitte, Mylady, ich dachte, Sie wären meine Mutter.“
Lady Bakerfield lachte. „Wie Sie sehen, bin ich es nicht. Was ist mit Ihrer geschätzten Frau Mama? Ist sie denn noch immer nicht zurück aus dem Kräutergarten? Was kann dort nur so fesselnd sein, dass man ganze Stunden zwischen den Beeten verbringt?“
Nun lächelte auch Elizabeth. „Das weiß ich allerdings auch nicht!“ Sollte ihre Gastgeberin ruhig glauben, Mama sei noch mit dem Küchenpersonal unterwegs. Besser sie wechselte überhaupt das Thema.
„Sie waren im Begriff, an meine Tür zu klopfen?“
Lady Bakerfield nickte eifrig. „Stellen Sie sich vor, liebe Miss Porter, ich habe eine unglaubliche Entdeckung gemacht! Bevor ich hierher zu Ihnen kam, da habe ich vor Aufregung richtiggehend gezittert ! Ich bin so froh, dass ich Sie antreffe, denn allein hätte ich nie den Mut …“ Sie verstummte und legte beide Hände auf ihr Herz.
„Meine liebe Lady Bakerfield, was ist denn geschehen?“
Auch das noch! Was immer Mylady entdeckt haben mochte, sie kam zur völlig ungelegenen Zeit. Um diese Stunde sollte sie sich in ihrem Boudoir befinden, um sich für das Dinner zurechtzumachen! Hatte sich denn die ganze Welt gegen Dewary verschworen? Die nächsten Worte trugen erst recht dazu bei, sie zu beunruhigen.
„Miss Porter …“ Lady Bakerfield machte eine kurze Pause, wie um die Spannung zu erhöhen. „Ich habe einen Geheimgang entdeckt!“
Sie hat einen Geheimgang entdeckt? Doch nicht etwa in Dewarys Zimmer? Wie konnte das nur passieren?
„Also, Miss Porter, was halten Sie von dieser Idee?“
Lady Bakerfield blickte mit erwartungsvollem Lächeln zu ihr hinüber. Was für eine Idee? Elizabeth war so in Gedanken gewesen, dass sie Myladys Worte nicht gehört hatte. Hatte sie am Ende das Zimmer zu früh aufgesperrt? War sie schuld, wenn Dewarys Plan scheiterte? Wie sollte sie je damit leben können?
„Miss Porter, was ist mit Ihnen? Ich habe Sie, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, für eine mutige Frau gehalten. Hätte ich gewusst, dass Sie bereits der Gedanke daran so sehr erschreckt, dass Sie weiß wie eine Wand werden, ich hätte Sie nie und nimmer mit diesem Vorschlag belästigt! Bitte verzeihen Sie mir!“
Lady Bakerfield wandte sich bereits zum Gehen, doch Elizabeth hielt Sie zurück. „Welchen Gedanken meinen Sie, Mylady?“
„Ich spreche von meinem Vorschlag, den Geheimgang gemeinsam mit Ihnen zu erkunden. Es wäre mir viel wohler zumute, Sie an meiner Seite zu wissen. Aber natürlich verstehe ich, wenn Sie sich fürchten. Man weiß nie, welchen Geistern man in abgeschiedenen Räumen begegnet …“
„Aber ich fürchte mich doch nicht vor Geistern !“, entfuhr es Elizabeth.
Lag in dem Blick, den Mylady ihr nun schenkte, lediglich Zweifel, oder war da auch ein wenig Spott zu entdecken? In jedem Fall sah Elizabeth sich veranlasst, sich zu verteidigen.
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