Das Geheimnis von Digmore Park
wie er die schöne Louise liebte. Vom ersten Augenblick an, als er sie gesehen hatte, wusste er, dass er ihr mit Leib und Seele verfallen war. Er kannte Bertrams andere Schwestern, manche waren hübsch, andere unscheinbar, die zweitjüngste richtig hässlich. Und allesamt fand er sie nicht anziehend. Und dann hatte er Bertrams jüngste Schwester Louise entdeckt. Sie saß auf der Schaukel hinter dem Haus und schwang hoch, immer höher in die Luft. Ihre Röcke flatterten im Wind, die dunklen Locken, von einem schmalen Band kaum gebändigt, flogen um ihr liebreizendes Gesicht. Er hatte sich nichts mehr gewünscht, als diese Frau sein Eigen zu nennen. Und er hatte gewusst, dass nichts unwahrscheinlicher war, als dass sich dieser Wunsch erfüllte. Anfangs hatte sie sich so unnahbar gegeben, wie er es erwartet hatte. Doch am nächsten Tag war sie wie ausgewechselt gewesen. Anscheinend hatte sie über Nacht die Liebe zu ihm entdeckt. Als er dann auch noch erfuhr, mit wem sie insgeheim verlobt war und dass sie seinetwegen diese Verlobung löste, da hatten ihn Genugtuung und unbändiger Stolz geradezu überwältigt!
„Komm, meine Liebe, wir wollen uns in den grünen Salon setzen. Sei so freundlich und leiste mir Gesellschaft. Ach, da sind Sie ja!“ Die letzten Worte waren an den Butler gerichtet, der durch die Tapetentür in die Halle getreten war. „Nehmen Sie meine Stiefel!“
Mr. Richards verzog keine Miene, sank auf ein Knie und half seiner Lordschaft, sich des Schuhwerks zu entledigen. Bakerfield wollte gar nicht wissen, was der Bedienstete dabei dachte, und das war wohl auch besser so.
„Bringen Sie uns Tee!“, forderte ihre Ladyschaft, „und etwas Süßes dazu.“
Sie hakte sich bei ihrem Gemahl unter. „Nun erzähl mir, was du heute erlebt hast, mein Lieber!“
Er genoss ihre Nähe und freute sich, dass sie sich zu ihm aufs Sofa setzte. Was hätte er ihr erzählen sollen? Dass ihm dieser fanatische, blasse Bursche, der die Mütze immer so tief in die Stirn zog, dass man sein Gesicht kaum erkennen konnte, ernstlich Sorgen machte? Dass die Männer kaum mehr im Auge zu behalten waren? Dass täglich neue dazukamen und er nicht verstand, was der Friedensrichter damit bezweckte? Nein, das waren keine Themen, die er mit Louise besprechen konnte. Wenn er doch nur die Zeit zurückdrehen könnte! Wenn doch dieses schreckliche Unheil nie geschehen wäre!
Als er nicht antwortete, begann Mylady zu erzählen. Davon, dass sie mit den beiden Damen Portland zu Mittag gegessen hatte. Dass sie ihre Gesellschaft sehr genoss und hoffte, die beiden würden noch länger bleiben, damit es nicht ganz so still und langweilig war, hier auf Digmore Park. Und, dass sie noch inständiger hoffte, es würde nicht mehr lange dauern, bis sie hier schalten und walten konnten, wie sie sich das eigentlich ausgemalt hatte, als sie seinen Antrag angenommen hatte. Bakerfield seufzte. Er war gern bereit, Louise jeden Wunsch zu erfüllen, aber manchmal ging sie einfach zu weit in ihrer Ungeduld.
Der Butler trat ein, um den Tee zu servieren. Er stellte eine edle Porzellanplatte mit kleinen Kuchenstücken bereit und goss das Getränk in zwei blaue Tassen von Wedgewood. „Ich habe Ihnen auch die Post mitgebracht, Mylord.“
Lord Bakerfield griff nach der Zeitung, die zwischen den Kuverts steckte, und der Butler zog sich zurück. Während Mylady die spärlichen Briefe durchsah, wurde ihr Gesicht immer länger. „Ich verstehe nicht, dass wir nicht mehr Einladungskarten erhalten, Edward. Die Leute müssen doch wissen, dass wir derzeit hier residieren. Warum kommt nie eine Einladung zu einem Ball oder einem Picknick? Das ist so betrüblich!“
Er legte die Zeitung wieder beiseite. „Du wirst noch genug Bälle und Picknicks erleben, mein Täubchen, das verspreche ich dir. Doch nicht in diesem Jahr. Wir sind in Trauer, vergiss das nicht. Es war deine Idee und unsere gemeinsame Entscheidung. Wir müssen den Schein aufrechterhalten, ob wir wollen oder nicht.“
Als er sah, dass sie weiterhin schmollte, klopfte er einladend auf seinen Oberschenkel. „Komm her zu mir, Louise, setz dich auf mein Knie und lass dich von mir trösten.“
Bis vor Kurzem war Lord Bakerfield die Lektüre seiner Zeitung heilig gewesen, und niemand, schon gar nicht seine Mutter, hatte es wagen dürfen, ihn dabei zu unterbrechen. Seit seiner Heirat war dies jedoch anders. Louise durfte alles. Fast alles, schränkte er ein. Natürlich kam auch ihm dieses dämliche Trauerjahr
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