Das Geheimnis von Digmore Park
es vermocht. Doch Mamas Zustand hatte sich dramatisch verschlechtert, und sie wünschte sich nichts so sehr, als mich an ihrer Seite zu wissen. Ihr Herz … ich habe Ihnen davon erzählt.“
Elizabeth nickte und legte ihre Rechte auf Dewarys Türklinke, um sie hinunterzudrücken.
„Was machen Sie denn da?“ Myladys Stimme klang auf einmal ungewöhnlich scharf.
Elizabeth zog die Hand so schnell zurück, als hätte sie sich verbrannt. „Ich dachte nur, wir könnten genauso gut gleich hineingehen, anstatt hier am Flur …“, stammelte sie. Wenn es nur nicht so ungeheuer wichtig gewesen wäre, sich zu beeilen! Kaum eine halbe Stunde bis zur geplanten Abendessenszeit!
„Wie kommen Sie denn nur auf die Idee, dass sich der Geheimgang in diesem Zimmer befindet?“ Myladys Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wissen Sie denn, vor welchem Raum wir uns befinden?“
Oh Gott!, dachte Elizabeth. Sich nur jetzt nichts anmerken lassen!
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo wir hier sind.“ Sie log, ohne rot zu werden. „Ich habe angenommen, dass dieser Raum unser Ziel ist, weil Sie davor stehen geblieben sind, Mylady. Es ist die letzte Tür des Flurs.“
Zum Glück schien Lady Bakerfield an diesen Worten nichts zu finden, was zu weiterem Zweifel Anlass gegeben hätte. Im Gegenteil, sie begann zu lächeln, als sie einen Schritt zur Seite trat. „Nicht wahr, man denkt, das sei die letzte Tür hier auf dieser Etage. Doch sehen Sie nur …“
Sie tastete mit der Handfläche ihrer Rechten die Tapete neben dem Türstock ab. Elizabeth sah ihr gespannt zu. Und dann plötzlich gab die Tapete unter Myladys Hand nach, und vor ihren faszinierten Augen öffnete sich eine schmale Tür nach innen. Elizabeth hatte schon viel von Tapetentüren in alten Häusern gehört. Und als Billy und sie klein gewesen waren, da hatten sie ganze Sonntage damit verbracht, auf Portland Manor nach geheimen Verstecken zu suchen, jedoch vergebens.
Die beiden jungen Damen steckten in seltener Einmütigkeit ihre Köpfe in das dunkle Treppenhaus. Elizabeth spürte, wie ihre Aufregung wuchs. Sie mussten hinunter zum Dinner. Doch zugleich war es höchst spannend zu erfahren, wohin dieser Gang sie führen mochte. Wann war wohl zuletzt jemand die schmale Treppe hinaufgestiegen? Und was hatte er dort oben gewollt? War es gar dereinst ein katholischer Priester gewesen, der vom damaligen Hausherrn vor den anglikanischen Verfolgern des Königs in Sicherheit gebracht worden war?
„Ich habe schon zwei Kerzenhalter für uns bereitgestellt“, flüsterte Lady Bakerfield in Elizabeths Gedanken hinein. Das Flüstern wurde von den kahlen Wänden vielfach wiedergegeben. Elizabeth lief es kalt den Rücken hinunter. Nein, es gab keine Geister! Wer sagte ihr allerdings, dass sie am Ende der Treppe nicht das Skelett eines verhungerten Priesters entdecken würden? In die Falle gelockt von einem hinterhältigen Vorfahren der Digmores? Sie nahm sich zusammen. Es war besser, die Augen offenzuhalten, als sich selbst mit Schauergeschichten Angst einzujagen!
Lady Bakerfield hatte inzwischen die Kerzen entzündet und reichte eine davon an sie weiter. „Wenn ich nur wüsste, wohin diese Stufen führen, dann wäre mir weit wohler zumute!“ Mylady fröstelte.
Da fielen Elizabeth die Worte des Kammerdieners ein, die er bei ihrem ersten Zusammentreffen auf dem Flur geäußert hatte.
„Vielleicht führen sie hinauf ins Turmzimmer? Ich habe …“, langsam gingen ihr diese kleinen Lügen ohne jeden Skrupel von den Lippen, „einmal bei einem Ausritt entdeckt, dass es im linken Flügel einen kleinen Turm gibt.“
Im Schein der Kerze nahm sie Lady Bakerfields prüfenden Blick wahr, der sich langsam in ein anerkennendes Lächeln wandelte. „Das Turmzimmer, natürlich! Dass ich da nicht selbst darauf gekommen bin. Jetzt erinnere ich mich, dass Edward einmal seine Existenz erwähnte.“ Sie hob die Kerze, um die nächsten Stufen zu beleuchten. Eine dicke Spinne suchte schleunig Zuflucht zwischen den Ritzen.
„Wie klug Sie sind, Miss Porter. Ich bin wirklich froh, dass ich Sie zu meiner Unterstützung geholt habe. Darf ich Sie bitten voranzugehen?“
Elizabeth zögerte. Es war nicht richtig, in einem fremden Haus herumzuschnüffeln. Noch dazu drängte die Zeit.
„Ich weiß nicht, Mylady“, sagte sie daher, „vielleicht ist es doch besser, wir gehen zurück. Wir schaffen es nie pünktlich zum Abendessen, wenn wir hier unsere Kleider mit Spinnweben und Staub
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