Das Geheimnis von Digmore Park
verstanden habe, dann ging es um Mord.“
„Mord?!“, entfuhr es Dewary und Charlie wie aus einer Kehle. „Mord? Wen um Himmels willen soll ich umgebracht haben? Du hast also mit dem Friedensrichter gesprochen? Was genau hat Lord Streighton gesagt? Ich habe den Mann erst ein-, zweimal persönlich getroffen. Wie ich Mr. McPhersons Brief entnommen habe, ist er eher schweigsam und zugeknöpft.“
„Das ist er wirklich“, bestätigte der Geistliche, „und wir haben auch nur ganz kurz miteinander gesprochen, als ich seine Lordschaft nach der Sonntagsmesse auf seine ungewöhnliche Blässe ansprach. Damals sagte er zu mir in etwa: ‚Es ist eine Tragödie, Mr. Bishop, eine wahre Tragödie. So eine gute Familie, alter Adel, hoch angesehen und nun ein Mord, wer hätte das gedacht?’“
Der Pfarrer hing seiner Erinnerung nach und verstummte kopfschüttelnd.
„Und?“, riss Dewary ihn aus seinen Gedanken, „weiter? Was hat er noch gesagt? Hat er dir gesagt, um wen es geht? Wen er des Mordes beschuldigt? Und wer, verdammt noch einmal, das Opfer ist?“
„Du sollst nicht fluchen!“, lautete die strenge Antwort.
„Antworte mir lieber! Kannst du dir nicht vorstellen, wie mir zumute ist? Ich zermartere mir das Hirn über der Frage, was ich getan haben soll. Nie und nimmer wäre ich auf die Idee gekommen, es könnte sich um Mord handeln. Wen um Gottes willen soll ich umgebracht haben?“
Der Geistliche atmete tief durch und sagte dann mit ruhiger Stimme: „Das weiß ich beim besten Willen nicht, Dewary. Vielleicht eines der Hausmädchen? Oder es lag irgendwo ein toter Diener …“
„Ha, ein Hausmädchen! Ein Diener! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass man so ein Aufsehen machen würde, wenn es sich bei dem Toten um Hauspersonal handeln würde? Nein, nein, es muss jemand von Adel sein!“ Er hielt erschrocken die Luft an und wurde mit einem Schlag kreidebleich. „Um Himmels willen, es wird doch meinem Vater nichts zugestoßen sein!“
Der Geistliche schüttelte den Kopf. „Nein, Dewary, sei unbesorgt. Wenn der Earl gestorben wäre, dann hätten wir das im gesamten Landkreis erfahren. Es muss jemand anderes sein. Doch hier herumzustehen und zu grübeln bringt uns auch nicht weiter. Was sind deine nächsten Pläne?“
Seine nächsten Pläne? Major Dewary seufzte. Bisher war ihm nichts Konkretes eingefallen. Wie sollte er sich gegen den Vorwurf eines Verbrechens wehren, wenn er nicht einmal wusste, ob er dazu überhaupt eine Möglichkeit bekommen würde? Was, wenn sich schon alle gegen ihn verschworen hatten und man ihm kein faires Verfahren würde angedeihen lassen? Es wäre blanker Selbstmord, jetzt auf dem Stammsitz seiner Väter in Digmore Park aufzutauchen. Zuerst musste er wissen, wessen Tod man ihm anlastete. Und als nächsten Schritt Beweise dafür zusammentragen, dass er nicht der Mörder gewesen sein konnte.
„Ich brauche deine Hilfe, alter Freund. Fahr du nach Digmore Park. Finde alles heraus, was sich nur herausfinden lässt. Außerdem würde es mir eine große Last von den Schultern nehmen, meinen Vater wohlauf zu wissen. Und dann komm hierher und berichte, was du erfahren hast.“
Der Pfarrer erwog diese Bitte und nickte zum Zeichen dafür, dass er bereit war, seinem Freund diesen Dienst zu erweisen. Dewary schüttelte ihm die Hand. „Ich stehe in deiner Schuld, Bishop. Wenn ich wieder ein freier Mann bin und du meine Hilfe brauchst …“ Er ließ den Satz in der Luft hängen, sein Freund wusste auch so, was er meinte. „Ich warte hier auf dich.“
Schon fast im Gehen begriffen schaute Simon Bishop sich noch einmal im Zimmer um. Die Spinnweben an den Wänden waren nicht zu übersehen, und in den alten Holzdielenboden hatte sich der Schmutz der vergangenen Jahrzehnte eingegraben. Der Geistliche sah den durchgesessenen Stuhl, den Schrank, dem beide Türen fehlten, den Strohsack im Bett.
„Einverstanden, Dewary. Ich fahre nach Digmore Park. Doch hier wirst du nicht bleiben. Es ist ohnehin sinnlos, den ganzen Tag zu grübeln. Noch dazu hier“, er verzog das Gesicht in sichtlichem Missfallen, „in dieser verdreckten Absteige.“
Major Dewary lachte bitter auf. „Denkst du denn, ich bleibe gern in dieser Höhle? Je früher ich hier herauskomme, desto lieber ist es mir. Doch welche Wahl habe ich? Ich kann weder nach Digmore Park noch in unser Londoner Stadtpalais in der Half Moon Street.“
„Nein, natürlich nicht. Du kommst mit mir ins Pfarrhaus!“ Der Geistliche machte Charlie ein
Weitere Kostenlose Bücher