Das Geheimnis von Digmore Park
gelten hatten. Major Dewary hatte ein neues Regiment gefunden.
8. Kapitel
Es dauerte drei lange, schmerzvolle Tage, bis Elizabeth ihr Bein wieder belasten konnte. Die Kammerzofe hatte täglich mehrfach die Kompresse gewechselt. Der Hausarzt, den Lady Portland umgehend zurate gezogen hatte, hatte diese Maßnahme ausdrücklich gutgeheißen. Und er hatte vorsorglich ein kleines Fläschchen mit Laudanumtropfen auf das Tischchen neben dem Sofa gestellt.
„Unterschätzen Sie niemals die Folgen eines Sturzes, Miss Porter“, hatte er erklärt und ihr dabei über seine dünnen Brillengläser einen bedeutungsvollen Blick zugeworfen, „so ein Sturz hat oftmals ungünstige Folgen für das zarte Nervenkostüm junger Damen. Wenn Sie also etwas zur Beruhigung brauchen, dann zögern Sie nicht, ein paar von diesen Tropfen einzunehmen.“
Elizabeth hatte sich pflichtschuldig bedankt und insgeheim sofort beschlossen, ohne die Medizin auszukommen. Laudanum machte müde. Das schwere Haushaltsbuch auf ihrem Schoß verlangte jedoch ihre volle Aufmerksamkeit. Und gar so ein zartes Nervenkostüm hatte sie auch wieder nicht.
Die ruhigen Tage im kleinen rosa Salon hatten auch ihr Gutes. Endlich war genügend Zeit für lange Gespräche mit Mama. Wie sich herausstellte, langweilte sich diese ganz schrecklich. Wäre es nicht nett, eine große Abendgesellschaft zu geben? Schließlich hatten sie endlich neue Vorhänge im Ballsaal, mit einem orientalischen Muster, ähnlich dem, das die Architekten des Prinzregenten für dessen Palast in Brighton ausgewählt hatten. Die mussten den Damen der Umgebung unbedingt gezeigt werden! Elizabeth fand die Idee großartig, und Lady Portland begann mit Begeisterung, die Gästeliste zusammenzustellen.
Schade, dass Billy und Lord Linworth ihren Besuch bei Lord Willowby auf Wildrose Manor ausgedehnt hatten. Jetzt hätte sie genug Zeit gehabt, sich in Ruhe mit ihrem Bruder zu unterhalten. Schon lange hatten sie nicht mehr Schach gespielt, wie sie das früher so gerne getan hatten. Vielleicht wären sie sich dadurch wieder nähergekommen. Billys ungewohnt arrogantes und uneinsichtiges Verhalten von neulich Morgen nagte noch immer in ihrer Brust. Und, wenn sie ehrlich zu sich war, wäre es ihr noch wichtiger gewesen, ihre Bekanntschaft mit Lord Linworth zu vertiefen. Sie hätten am Abend gemeinsam musizieren können. Ob er gerne sang? Vielleicht hätte er ihr aus einem Buch vorgelesen. Sie konnte ihn förmlich hören, wie er mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme Lord Byrons Gedichte rezitierte. Halt, sie musste sich korrigieren: Linworth hatte keine dunkle, wohlklingende Stimme. Er sprach überraschend hoch und immer so, als hätte er etwas in der Nase. Welche Stimme hatte sie denn dann eben im Ohr gehabt? Tiefblaue Augen und ein dunkler Vollbart schoben sich in ihre Erinnerung. Elizabeth lachte laut auf. Sie hatte an den neuen Stallmeister gedacht! Nein, dieser Mann würde niemals Gedichte vorlesen. Es war nicht einmal anzunehmen, dass er je etwas von einem Lord Byron gehört hatte. Allerdings wusste er eines sicher. Elizabeth setzte sich auf ihrem Sofa auf und stellte vorsichtig beide Beine auf den Boden. Er wusste, wie es Summerwind ging. Und das wollte sie jetzt auch erfahren. Mit beiden Armen stützte sie sich an der Tischkante ab. Na bitte, sie stand wieder auf eigenen Beinen! Langsam durchquerte sie den Salon, dann die Vorhalle und öffnete schließlich das schwere Eingangsportal. Was für ein schöner, sonniger Tag! Wirklich viel zu schade, um ihn im dunklen Zimmer zu verbringen. Ob sich der Stallmeister schon eingelebt hatte? War er noch dabei, sich ein Bild vom Landgut zu machen, oder hatte er schon erste Maßnahmen ergriffen? Sie hielt eine Hand über die Augen, um sie von den stärksten Sonnenstrahlen abzuschirmen, und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der gepflasterte Vorplatz war von allem Unkraut befreit worden. So sauber hatte es hier lange nicht ausgesehen! Sämtliche Hecken waren akkurat zurechtgestutzt. Jemand hatte die langen, geraden Äste eines Haselnussstrauches zwischen die Rosenbüsche gesteckt. Die dornigen Ranken, die sich durch die Schwere der Blüten längst zu Boden geneigt hatten, waren von kundiger Hand hochgebunden worden. Der verwahrloste Eindruck von vor wenigen Tagen war charmanter Eleganz gewichen. Kam es ihr nur so vor, oder verströmten die Blüten jetzt, da ihre Köpfe stolz aufgerichtet waren, einen noch viel lieblicheren Duft? Die Hortensien waren voll erblüht
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