Das Geheimnis von Digmore Park
und hoben sich in ihrem strahlenden Pink und ihrem satten Violettblau vom grünen Laub der Hecke ab, die sie begrenzten. Alles bot ein sauberes, adrettes Bild, das das Auge jedes Gastes erfreuen würde. Elizabeth konnte sich nicht erinnern, jemals vom Anblick ihres Gartens so begeistert gewesen zu sein. Der alte Simmons hatte die Stallungen fest im Griff gehabt, und bei der Betreuung der Pferde hatte es nie einen Grund zur Beanstandung gegeben. Die Gärten jedoch waren dem alten Mann kein wirkliches Anliegen gewesen, und noch nie hatte sich jemand ihrer Pflege mit so viel Umsicht angenommen. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit durchströmte Elizabeth. Endlich war hier wieder jemand, der ihr Pflichten in Haus und Hof abnahm und sie nicht wegen jeder Kleinigkeit zurate zog. Sie musste in den nächsten Tagen unbedingt Mr. Bishop aufsuchen, um sich noch einmal für die Auswahl dieses Stallmeisters zu bedanken. Freddy Michaels schien sich als wahrer Engel zu entpuppen. Elizabeth lachte über ihren Überschwang. Das war nun doch etwas übertrieben. So ein unfreundlicher, ja fast grimmiger Mann hatte wenig Ähnlichkeit mit einem Engel, zumindest äußerlich. Dafür leistete er zweifellos gute Arbeit. Arbeit, die ihr begeistertes Lob und ihren Dank verdiente. Mr. Michaels Ankunft auf Portland Manor hatte unter keinem guten Stern gestanden. Sie würde ihn noch einmal, diesmal unter besseren Vorzeichen, in ihrem Haus … im Haus ihres Bruders … willkommen heißen. Sie würde dafür sorgen, dass er sich hier wohlfühlte. Wenn sie eines von ihrem Vater gelernt hatte, dann, dass nur glückliche Diener gute Diener waren. Seit Generationen lebte man auf Portland Manor nach diesem Grundsatz. Wie alt Mr. Michaels wohl war? Er war der erste Mann, den sie leibhaftig mit einem Vollbart vor sich gesehen hatte. Ob sie ihn auffordern konnte, den Bart abzurasieren? Hatten Diener das Recht, einen Bart zu tragen? Sie hatte keine Ahnung. Wen konnte sie da um Rat fragen? Mama war es sicher einerlei, wie ein Stallmeister aussah. Sie verschwendete kaum je einen Gedanken an die Dienerschaft. Sie war keine dieser stets nörgelnden Herrinnen, die ihren Bediensteten mit Belehrungen oder ausgefallenen Wünschen das Leben schwer machten. Allerdings wäre sie auch nie auf die Idee gekommen, Lob und Anerkennung auszudrücken. Die Dienerschaft war einfach da . Dafür zuständig, ihr das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Nein, Mama taugte in diesen Fragen nicht als Ratgeberin. Und Mr. Barnsley? Der Verwalter entstammte einer anderen Generation, einer Generation, die Diener noch als Leibeigene betrachtete. Nur zu gut war ihr in Erinnerung, dass ihr Vater sich nie an dessen Ratschläge gehalten hatte, wenn es um Personalfragen ging. Papa, wie hättest du entschieden? Hättest du sofort erkannt, wie alt Mr. Michaels war? Wegen des dichten Vollbarts und der seltsamen Kapuze hatte sie sein Gesicht kaum gesehen. Wahrscheinlich war er um die vierzig, vielleicht auch schon etwas älter.
Elizabeth kam auf ihrer Suche nach dem Stallmeister nicht so schnell voran, wie sie gerne gewollt hätte. Jeder Schritt musste langsam und mit Bedacht gesetzt werden. Wo würde sie ihn wohl finden? Vielleicht sah er gerade im Stall nach dem Rechten? Fand sie ihn an der Koppel? Oder lag ihm womöglich am Wohlergehen der Pflanzen mehr als an dem der Tiere, und sie fand ihn am Ende im Küchengarten mit einer Harke in der Hand? Was, wenn ihn die Pferde nicht leiden konnten? Was, wenn er ihrer nicht Herr wurde? Was, wenn er ihnen mit Peitsche und Sporen zu Leibe rücken wollte? Elizabeths Zuversicht schwand. Sie hätte viel darum gegeben, sich mit jemandem austauschen zu können! Viel zu oft war sie allein mit allen Entscheidungen.
Wann wurde Billy endlich älter und vernünftiger? Zurzeit hatte er nur seine Vergnügungen im Kopf, aber das war wohl typisch für einen Siebzehnjährigen. Glücklich und mit stolzgeschwellter Brust war er nach Wildrose Manor abgefahren. Wie sie gehört hatte, würde dort nicht nur ein Wettrennen stattfinden, sondern auch allerlei andere sportliche Veranstaltungen. Es war das erste Mal, dass man Billy eingeladen hatte, in einem Kreis Erwachsener dabei zu sein. Sicher hatte er die Einladung nur Lord Linworth zu verdanken. Wäre ihr dieser Mann nicht ohnehin schon sympathisch gewesen, sie hätte ihm ihr Herz allein dafür geschenkt, dass er ihren Bruder so glücklich machte. Lord Linworth übte unzweifelhaft einen guten Einfluss auf seinen
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