Das Geheimnis von Digmore Park
hatte. Sein Lächeln war zu viel für Elizabeth. Jäh wurde ihr die Unschicklichkeit der Situation bewusst. Er war ein Mann um die dreißig, sie eine junge Frau knapp über zwanzig. Beide waren sie im heiratsfähigen Alter, beide waren sie unverheiratet. Die strengen Patronessen des „Almacks Clubs“ in London hätten wohl vor Entrüstung die Hände über ihren wohlfrisierten Köpfen zusammengeschlagen, hätten sie dieses ungehörige Treiben hier beobachtet. Und mit ihnen all die anderen feinen Ladys der Gesellschaft. Wäre Mr. Michaels ein Adeliger, wäre es ausgeschlossen gewesen, dass sie sich so ungeniert unterhielten, ohne Begleitung einer älteren Dame oder zumindest ihrer Kammerzofe Molly. Ihr Ruf hätte unheilbaren Schaden erlitten. Andererseits, Mr. Michaels war kein Adeliger. Er war ein Diener, noch dazu ein Mitglied ihrer eigenen Dienerschaft. Im Umgang mit Personal galten die strengen Moralgesetze nicht. Die Verbindung zwischen einer Lady und einem Stallmeister war ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit. Also war es vielleicht doch nicht verwerflich, dass sie hier mit ihm stand und die Unterhaltung genoss …
Dewary war weit davon entfernt, ihre Gedanken zu erraten. Er blickte zu den Grauen hinüber. Verständlich, dass Miss Porter nicht wollte, dass sie in fremde Hände kamen. Er würde abwarten, welchen Käufer der junge Lord Portland aufgetrieben hatte, bevor er sich endgültig entschied. Doch er hatte nicht übel Lust, die Tiere für seine eigenen Stallungen zu erwerben. Papas Vierergespann war in ebensolchen Ehren gealtert wie er selbst. Es war höchste Zeit, sich ein neues Gespann zuzulegen. Diese vier Grauen würden, wenn man sie in Form hielt, noch lange Zeit gute Dienste tun.
11. Kapitel
Der Abend brachte für Elizabeth eine höchst amüsante Unterhaltung mit Mama. Mylady war bester Laune von ihren Freundinnen zurückgekehrt. Lady Marvel kannte einen neuen Konditor in der Stadt.
„Er ist ein Franzose, der sein Handwerk in Paris gelernt hat, ein ‚Patissier’, wie man diese Leute dortzulande wohl nennt.“ Das Wort „Patissier“ wurde von einer schwungvollen Handbewegung begleitet. „Stell dir vor, Elizabeth, man sagt, er habe Torten für den französischen König gebacken. Du weißt, diesen armen Mann, den sie später auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben. Sie sind schon ein barbarisches Volk, diese Franzosen!“
„Soviel ich weiß, wurde der König geköpft“, warf ihre belesene Tochter ein. Ihre Mutter sah sie mit großen Augen an. „Findest du das etwa weniger barbarisch?“
Elizabeth musste wider Willen lachen. Natürlich war es schlimm, was mit Louis XVI. geschehen war. Und noch viel schlimmer waren die Auswirkungen der Französischen Revolution auf den Kontinent, ja und natürlich auch auf England. Schließlich befand man sich im Krieg gegen die Franzosen. Und dennoch, so wie Mama sich ausdrückte, klang es amüsant. Obendrein war es ein seltsames Thema für ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter.
„Jedenfalls musste der arme Kerl fliehen, der Bäcker, nicht der König. Der wäre wohl auch gerne geflohen, nehme ich an …“
„… er hat es versucht, es ist ihm nicht gelungen.“
„Eben. Aber dem Konditor ist es gelungen. Zum Glück. Und darum wird er uns zu unserem Ball die köstlichsten Süßigkeiten zaubern.“
„Ball? Wir veranstalten einen Ball? Ich dachte, du denkst an eine kleine Einladung?“
„Seit heute Nachmittag denke ich an einen Ball! Es hat sich wieder einmal bewiesen, wie wichtig gute Freundinnen im Leben sind! Es waren so unterhaltsame Stunden! Wenn du wüsstest, welch grandiose Ideen uns gekommen sind! Mary Ann kennt eine ganz bezaubernde französische Sängerin. Die soll eine Stimme wie eine Nachtigall haben.“
„Und diese Sängerin wird auch bei unserem … Ball … auftreten?“
Mylady nickte. „Selbstverständlich wird sie das. Stell dir nur das Aufsehen vor, das wir damit verursachen werden! Begleitet wird sie von dem kleinen Kammerorchester, das vorgestern bei Lady Jenner aufspielte. Es war wirklich schade, dass du nicht dabei sein konntest, Elizabeth. Was mich daran erinnert: Wie geht es deinem Bein, meine Liebe? Irre ich mich, oder bist du schon wieder recht gut zu Fuß?“
Elizabeth wusste nur zu gut, dass ihre Mutter von Schwierigkeiten eigentlich nichts hören wollte. Sie war eine liebe, eine fürsorgliche Mutter. Doch die größte Freude konnten ihr ihre Kinder immer machen, wenn sie sie mit unerfreulichen Nachrichten
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