Das Geheimnis von Digmore Park
muffig.
„Pfff, hier stinkt es aber gewaltig!“ Charlie hielt sich erschrocken seinen Ärmel vor den Mund und eilte zum Fenster.
„Das ist bloß abgestandene Luft.“ Die Wirtin blieb die Ruhe in Person. „Das gibt sich, sobald ihr länger herinnen seid.“ Ihr Blick fiel auf das lehmbeschmutze Schuhwerk, und sie setzte mit einem wissenden Lächeln hinzu: „Oder es verschlimmert sich, wenn ihr erst einmal eure Stiefel ausgezogen habt. He, was soll denn das …?“ Dieser Ausruf galt Charlie, der mit ein paar schnellen Griffen nicht nur das Fenster geöffnet, sondern auch die Bettlaken von den Strohmatratzen gerissen hatte, um sie zum Lüften ins Freie zu hängen.
„Na, Sie sind mir aber ein seltsamer Offizier, das möchte ich schon sagen. Und du da“, sie rempelte den Burschen mit dem Ellbogen in die Seite, „bist wohl ein gar fauler Geselle. Schöne Reden schwingen, das kannst du wohl. Aber zum Arbeiten taugst du anscheinend wenig.“
„Ach, der taugt schon“, meinte Charlie, konnte sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen, „und nun ab in die Küche, Frau, wir haben einen Bärenhunger!“
Die Wirtin machte kehrt und eilte die Treppe hinunter. „Vergessen Sie das Bier nicht!“, rief ihr Freddy Michaels nach.
Die Wirtin beschloss, Lester, den Burschen, mit den Getränken zu schicken. Sally blieb besser in der Küche, damit sie nicht auf dumme Gedanken kam. Lester konnte auch gleich zwei Krüge Wasser zu den Gästen schleppen. Die beiden sahen aus, als könnten sie dringend etwas zum Waschen gebrauchen.
Als sie eine halbe Stunde später mit den Resten des Spanferkels, einigen gebratenen Würsten, Kartoffelbrei und gekochten Erbsen in das Zimmer zurückkam, hatten sich die Männer bereits Gesicht und Hände gewaschen. Sie sahen nun einigermaßen sauber, aber noch immer müde und erschöpft aus. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass man ihre Dienste nicht mehr brauchte, zog sie sich zurück. Umgehend versperrte der Offizier die Türe hinter ihr. Freddy Michaels sprang von seinem Stuhl auf und schob den wackeligen Tisch zur Seite, auf den die Wirtin die Teller gestellt hatte.
„So, und nun raus aus meiner Uniform, Charlie. Wären die Leute hier nicht so betrunken, hätten sie bemerken müssen, wie unwohl du dich in meinem roten Rock fühlst.“
Charlie erfüllte diesen Befehl nur zu gerne.
„Ich hab mich nicht darum gerissen, Major. War Ihre Idee gewesen, wenn ich Sie daran erinnern darf.“ Und wenn Sie nicht so tief in der Klemme sitzen würden, dann hätte ich mich nie und nimmer damit einverstanden erklärt, bei diesem unwürdigen Schauspiel mitzumachen, hätte er noch gern hinzugefügt, ließ es aber nach einem Blick auf seinen Herrn lieber bleiben. Freddy Michaels, ha! Das war Major Frederick Michael Dewary. Und er war der Offizier von ihnen beiden. Ehre, wem Ehre gebührt! Die Uniform eines Majors hatte nur ein Major zu tragen und nicht ein einfacher Stallbursche, der in seinen Diensten stand. Wenn er bloß genau wüsste, was das für eine Klemme war, in der sein Herr steckte. Das Einzige, was er ihm erzählt hatte, war, dass man ihn eines Verbrechens bezichtigte und dass es daher lebensgefährlich für ihn war, nach England zurückzukehren. Würde man ihn erkennen, würde er am Galgen landen, bevor noch der nächste Monat begann. Vielleicht würde er aber auch geköpft werden, schließlich entstammte sein Herr dem hohen Adel. So genau kannte Charlie sich da nicht aus.
Sein Herr hatte sich in der Zwischenzeit ebenfalls bis auf die Unterwäsche entkleidet. Jetzt saß er wieder auf dem einzigen Stuhl des Zimmers und begutachtete mit sichtlichem Wohlwollen die aufgetischten Speisen. Dass Charlie so lange schwieg, machte ihn stutzig. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er zu seinem Diener hinüber.
„Es hat keinen Sinn zu grübeln, Charlie“, sagte er, als hätte er dessen Gedanken erraten. „Komm, setz dich zu mir, da hinüber auf das Bett. Du musst essen, damit du bei Kräften bleibst. Du hast im Morgengrauen einen langen Ritt vor dir.“
Charlie widersprach nicht. Er nahm eines der Würstchen und biss herzhaft hinein. Nun noch ein großer Schluck aus dem Bierkrug, und schon sah die Welt gleich viel freundlicher aus. Dennoch: Eine Schande war das schon! Major Frederick Dewary war der rechtschaffenste Mann, den er kannte. Gut, er war manchmal zu Scherzen aufgelegt, und er liebte das Abenteuer. Doch er war klug und mutig. Von so mancher Schlacht war er hochdekoriert mit Orden und
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