Das Geheimnis von Islay Island
sollte. Vielleicht schickte Moran Waddington unter irgendeinem Vorwand in die Küche. Falls ja, sollte ich dort sein, lachen und reden und ihm damit das Gefühl geben, es sei alles in bester Ordnung. Die Entscheidung war gefallen. Ich würde erst morgen meine Sachen packen und nun wie gewohnt mit Ann-Marie und dem Küchenchef zu Abend essen.
Wir verspeisten die Reste der vorzüglichen Wildpastete. Ann-Marie hatte sich mal wieder auf ihr Lieblingsthema Gabrielle Robillard eingeschossen.
»Die Frau redet doch ohne Punkt und Komma, oder? Als ich das Wild reinbrachte, erging sie sich endlos über ihre Einkäufe bei Harvey Nichols, und als ich den Obstsalat servierte, war sie damit immer noch nicht durch. Wenn die in Port Ellen einkaufen will, muss sie ganz schön Abstriche machen.« Sie nahm einen übertriebenen französischen Akzent an. »’eute Abönd kein Wild für misch, isch wärdö ein Takeaway von die Niepie Chiepie nehmön. Isch werdö nur essen die ’aggis, das wurde geschossen ’eute Morgön. Ein großes ’aggis in ’arvey-Nicols-Qualität. Isch wärdö essen ’aggis und die Frittön und Thomaas wirdö –«
Ohne Vorwarnung flog die Küchentür auf, und Gabrielle stand vor uns, beide Wangen leuchtend von zornigen roten Flecken.
Ihr Blick bohrte sich in Ann-Marie, die sie anlächelte und kein bisschen verlegen schien. Gabrielle ignorierte geflissentlich die demonstrative Aufmüpfigkeit und richtete sich an mich.
»Ah, da sind Sie ja, Dorward. Da isch Ihnen Samstag freigegeben ’abe wegen unsere Ausflüge zu diese Vögel und diese schreckliche See, Sie denken bitte daran zu erinnern die Dienstmädschen, dass sie Ihre Aufgaben muss übernehmen.« Mit einem letzten funkelnden Blick in Richtung Ann-Marie rauschte sie davon.
Mein Unbehagen wuchs, denn ich spürte: Moran stand hinter diesem Besuch. Wie erwartet nutzte er irgendeinen Vorwand, um festzustellen, ob mein Verhalten nach unserer vielsagenden Begegnung vorhin von der normalen Routine abwich. Hätte ich nicht wie gewohnt mit den anderen gegessen, wäre das für ihn Grund genug gewesen, etwas zu unternehmen. Nun, hiermit sollten seine Zweifel ausgeräumt sein. Gabrielle hatte mich, scheinbar entspannt, in der Küche vorgefunden. Es war demnach richtig gewesen, bis zum Morgen zu warten.
Als ich die Küchentür hinter mir zuzog und ins Cottage zurückging, war es bereits nach zehn. Ein Sturm war heraufgezogen. Selbst im Schutz der Büsche machte er sich bemerkbar. Die Äste an den Bäumen ächzten; die Blätter zischelten; Wolken jagten über den Himmel, so dass sie in schnellem Wechsel den Mond verdunkelten und sogleich wieder hervortreten ließen. Starker Wind macht mich grundsätzlich nervös – vielleicht war das der Grund, weshalb ich dieses unbehagliche Gefühl einfach nicht abschütteln konnte.
Ich schloss die Cottagetür hinter mir ab, knipste die Tischlampe an und zog die Gardinen fest zu. Und fühlte mich trotzdem kein bisschen sicherer. Gorgonzola schien sich von meiner Stimmung anstecken zu lassen, denn sie strich mir um die Beine und schmiegte sich, ohne mich mit einem Schnurren zu begrüßen, fest an mich.
Ich schaltete den Fernseher ein und lehnte mich zurück, während Gorgonzola mir auf den Schoß sprang und ich ihr mit der Hand über den Kopf strich. War es wirklich richtig gewesen, heute Nacht hierzubleiben? Geistesabwesend starrte ich auf die Szenen vor mir auf dem Bildschirm. Noch immer machte mir Gabrielles Erscheinen in der Küche zu schaffen.
Moran war offensichtlich ernsthaft besorgt, erkannt worden zu sein. Aus den Akten wusste ich, dass Moran wie die meisten Gangster keine Gefangenen machte, sondern die Faustregel beherzigte: Im Zweifelsfall einfach umlegen. Auch wenn mir das Bleiben bis zum Morgen ein wenig Aufschub verschaffte, wurde mir mit einem Schlag klar, dass es ein Fehler war.
Ich schaltete den Fernseher aus, nahm Gorgonzola und sprang auf, während ich mich für meine Dummheit verfluchte. »Zeit, einen Abgang zu machen, Gorgonzola.«
Ich schnappte meinen Rucksack, setzte Gorgonzola hinein, griff zu meiner wasserdichten Regenjacke am Haken an der Rückseite der Tür, zog die Tür hinter mir zu und verließ das Haus. Ich nahm mir nicht die Zeit, noch etwas anderes einzupacken.
Eine große dunkle Wolke bedeckte den Mond, doch der Himmel war soeben hell genug, um die Konturen der Baumstämme und die unregelmäßigen Formen der Büsche auszumachen. Die Schottereinfahrt zwischen den Stallungen und dem Cottage
Weitere Kostenlose Bücher