Das Geheimnis von Melody House
der eigentümliche Reiz, den sie auf ihn ausübte. Gewiss, sie sah gut aus, aber gut aussehende Frauen gab es viele. Und auch dass sie sinnlich und geschmeidig war wie eine Katze, war nichts Ungewöhnliches. Viele Menschen hatten solche Reize.
Aber nicht so ausgeprägt wie diese Frau
.
Vielleicht liegt es an diesem tiefen Wissen, das ihre Augen ausstrahlen, an den Dingen, die sie wahrnehmen kann, rätselte Matt.
Warum zum Teufel fühlte er sich bloß so angezogen davon?
Es klopfte.
“Ja?” rief Matt und nahm er seine Füße vom Schreibtisch.
Deputy Harding öffnete die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer. “Alles in Ordnung?”
Alan Harding war jung. Ein gutes Alter, um zwischen Mitternacht und acht Uhr morgens für Recht und Ordnung zu sorgen. Der blonde Alan mit den blauen Augen war fast einsneunzig groß und wurde mit den betrunkenen Rowdys, mit denen es die Polizei um diese Zeit gelegentlich zu tun bekam, in den meisten Fällen spielend leicht fertig.
“Ja, alles bestens. Warum?”
“Na ja … ich wollte bloß mal nachsehen. Normalerweise sind Sie um diese Zeit nicht mehr hier, das ist alles.”
Matt hob eine Augenbraue. “Wie spät ist es denn?”
“Kurz vor zwei.”
“Morgens?”
Harding grinste. “Das ist meine Schicht.”
“Ja, klar.” Matt kratze sich an der Wange. “Ich wollte sowieso gerade gehen.”
Er stand auf und schnappte sich seinen Hut vom Haken. “Rufen Sie mich an, wenn Sie …”
“Wenn ich Sie brauche, jawohl, Sir”, sagte Alan und lächelte. “Habe gehört, dass Sie heute im Wald einen alten Totenschädel gefunden haben.”
“Ich nicht.”
“Die Hellseherin, hm?”
Matt versteifte sich. Warum hasste er es bloß, wenn die Leute Darcy als Hellseherin bezeichneten?
“Miss Tremayne von Harrison Investigations hat den Schädel gefunden, wenn es das ist, was Sie meinen”, gab er hölzern zurück.
“Dann kann sie ja offenbar wirklich hellsehen, was?”
Matt stülpte sich seinen Hut auf den Kopf. “Sie kann lesen und sitzt offenbar gern in Bibliotheken herum. Deshalb heißt nämlich die Firma, für die sie tätig ist, Harrison
Investigations
, Alan. Weil sie Nachforschungen anstellen.”
“Ja, klar … Sir!” sagte Alan.
Matt schüttelte den Kopf und ging nach draußen, wobei er Alan noch über die Schulter zurief: “Rufen Sie mich an, wenn …”
“Wenn ich Sie brauche”, beendete Alan den Satz erneut für ihn.
Matt brummte irgendetwas in sich hinein.
Draußen hatte sich ein leichter Nebel gebildet. Obwohl er sie zu ignorieren versuchte, beschlich ihn plötzlich eine leise Unsicherheit. Was hatte er nur so lange im Büro verloren?
Er sollte eigentlich schon seit Stunden im Bett liegen.
Mit langen Schritten ging er zu seinem Auto und fuhr deutlich schneller, als erlaubt war, nach Hause. Irgendeinen Vorteil musste es ja haben, dass er der Sheriff war.
Es hätte eigentlich eine ganz und gar friedliche Nacht für Darcy sein müssen. Sie wusste, dass sie einen Erfolg für sich verbuchen konnte. Und normalerweise fiel in einer derartigen Situation zumindest ein Teil der Anspannung, unter der sie stand, von ihr ab, sodass sie imstande war, so etwas wie eine heitere Gelassenheit zu verspüren.
Aber heute Nacht …
Das Abendessen begann noch recht viel versprechend. Immerhin waren Penny, Clint und Carter über ihren Fund ganz aufgeregt gewesen. Penny hatte ihr verschwörerisch zugelächelt und war offensichtlich stolz wie ein Pfau, dass sie es geschafft hatte, Matt zu überreden, Harrison Investigations in sein Haus zu lassen. Und sogar der alte Sam Arden hatte voller Respekt mit dem Kopf genickt. Es war fast so, als ob sie eine Feuerprobe bestanden hätte. Und niemand schien sich in ihrer Nähe unbehaglich zu fühlen. Im Gegenteil: Clint und Carter fragten ihr Löcher in den Bauch. Aber Darcy hüllte sich in Schweigen und sagte nur, dass sie die Geschichte in der Bibliothek nachrecherchiert und daraufhin zwei und zwei zusammengezählt habe.
Clint schüttelte den Kopf. “Aus zwei und zwei wird nicht notwendigerweise vier! Das war schon eine Glanzleistung.”
“Erzählen Sie uns doch, wie Sie den Schädel gefunden haben”, bettelte Carter.
“Durch Nachforschungen”, sagte sie wieder, konnte sich dabei jedoch ein Lächeln nicht verkneifen. “Daraus besteht unsere Arbeit.”
“Dem Gespenst im Lee-Zimmer wird das aber gar nicht gefallen”, bemerkte Penny.
“Sie sollten vorsichtig sein”, meinte Clint, der plötzlich beunruhigt wirkte.
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