Das Geheimnis von Mulberry Hall
aufgezwungen zu haben. Aber er fragte sich, was ihr gerade eben wohl durch den Kopf gegangen sein musste, als sie abwog, ob sie sich ihm fügen sollte.
Er konnte diese bezaubernde und beeindruckende Frau überhaupt nicht einschätzen, und das war für seine Verhältnisse schon ziemlich ungewöhnlich. Denn die meisten Frauen, denen er begegnete, hatten ganz klare Vorstellungen von dem, was sie wollten: ihn zumindest ins Bett und am besten noch vor den Altar schleifen! Natürlich mit einem Auge auf seinem Vermögen und seinem gesellschaftlichen Stand, beides hatte er sich während der vergangenen zehn Jahre hart erarbeitet.
Lexie Hamilton schien weder von Geld noch von sozialem Ansehen beeindruckt zu sein, und so benahm sie sich auch ihm gegenüber. Um genau zu sein, benahm sie sich gerade nicht , und das stachelte sein Interesse nur weiter an. Was hatte es mit dieser außergewöhnlichen Frau auf sich?
Außerdem war Lucan froh über etwas Ablenkung, wenn er schon gezwungen war, so bald wieder nach Mulberry Hall zurückzukehren.
„Zwei Stunden“, bestätigte er knapp.
Sie nickte. „Soll ich mich um eine Zugverbindung kümmern?“
„Ich werde selbst fahren“, informierte er sie. „Normalerweise hätten wir den Firmenhelikopter genommen, aber der wird gerade von unseren Mechanikern durchgeprüft.“
Diese Familie ist wirklich erstaunlich, dachte Lexie bei sich. Superreich und superprivilegiert.
Wie ihre Großmutter es geschafft hatte, sich ausgerechnet in den großen Patriarchen einer solchen Dynastie zu verlieben, war ihr absolut schleierhaft.
„Wie dumm von mir“, sagte Lexie laut.
Verwundert sah er sie an. „Du solltest dir auf jeden Fall warme Sachen mitnehmen.“
„Ich bin wohl intelligent genug, mein Gepäck sinnvoll zusammenzustellen“, erwiderte sie spitz.
„Ich wollte nicht andeuten, dass ich dich für minderbemittelt halte“, versuchte er sich zu erklären und merkte, wie ihm das Gespräch immer weiter entglitt.
„Bis jetzt nicht.“
„Überhaupt nicht“, stellte Lucan klar.
Seine Stimme wurde heiser, und Lexie musterte ihn ratlos, bis er seinen durchdringenden Blick direkt auf sie richtete.
Oh doch, schoss es ihr durch den Kopf. Mit diesem Mann soll ich es jetzt zwei Tage lang rund um die Uhr aushalten? Das geht schief!
„Ich bin pünktlich zurück“, versprach sie eilig und machte sich auf den Weg, um Brenda zu erklären, was hier eigentlich vor sich ging.
„Schnall dich an!“, befahl Lucan und startete den Motor seines schwarzen Range Rovers.
Lexie hatte umwerfend ausgesehen, als sie vor weniger als einer Stunde wieder im Büro auftauchte. Sie trug enge Jeans und einen blauen Pullover, der hervorragend die Farbe ihrer Augen betonte, dazu halbhohe dunkelbraune Lederstiefel. In den Händen hielt sie einen dicken Wollmantel und eine prall gefüllte Reisetasche. Ihre wilde Mähne hing in einen losen Zopf geschlungen den Rücken herab, und Lucan bemerkte, dass sie kleine Perlenohrringe trug. Und um ihren Hals hing ein schimmerndes, goldenes Medaillon.
Im beengten Raum des Range Rovers nahm Lucan auch zum ersten Mal den Duft ihres Parfums genauer wahr. Die betont feminine Note mit einem Schuss Vanille war ihm schon im Büro aufgefallen, doch jetzt entfaltete sie erst ihre gesamte magische Wirkung. Ja, diese junge Frau neben ihm auf dem Beifahrersitz dürfte in der Tat eine willkommene Abwechslung bieten, solange er sich auf dem Land herumtreiben musste.
Allerdings wusste Lucan genau, dass ihn nichts und niemand dazu bringen konnte, sich in der Nähe seines Elternhauses wohlzufühlen.
Selbst während Jordans Hochzeit hatte Lucan wieder einmal feststellen müssen, dass sich dort seit seinem elften Lebensjahr kaum etwas verändert hatte. Wozu auch? Möbel und Stoffe waren praktisch antik, die Böden im Erdgeschoss ausschließlich aus Marmor und die Gemälde an den Wänden alles Originale, genau wie die Statuen und die Kronleuchter aus teuerstem venezianischem Glas.
Ohne Zweifel war Mulberry Hall ein beeindruckend schönes und imposantes Haus. Das Heim eines Dukes, des Duke von Stourbridge. Und diesen Titel trug Lucan seit dem Tod seines Vaters. Eigentlich …
In den vergangenen acht Jahren hatte er kaum über diesen Umstand nachgedacht.
Als das älteste dreier Scheidungskinder hatte Lucan schon in jungen Jahren einen Groll gegen seine adelige Herkunft gehegt. Er machte die Verpflichtungen, die damit einhergingen, ebenso für das tragische Scheitern eines glücklichen
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