Das Geheimnis von Orcas Island
Columbia.«
»Das ist kein Problem. Nehmen Sie die Fähre nach Sidney. Wir veranstalten recht viele Ausflüge dorthin, für unsere Reisegruppen.«
»Wir?«
»Das Gasthaus. Pop – mein Großvater – hat in den Sechzigern ein halbes Dutzend Blockhäuser gebaut. Wir haben ein besonderes Pauschalangebot für Reisegruppen, mit Halbpension. Die Hütten sind ein bisschen rustikal, aber den Touristen gefällt das. Wir bekommen etwa zweimal pro Woche eine Gruppe. In der Hauptsaison können wir es verdreifachen.« Charity bog in eine schmale gewundene Straße ein und hielt die Geschwindigkeit bei fünfzig.
Ronald kannte die Antworten bereits, aber es hätte seltsam gewirkt, wenn er nicht gefragt hätte. »Leiten Sie den Gasthof?«
»Ja. Ich habe zwischendurch dort gearbeitet, so lange ich denken kann. Als mein Großvater vor einigen Jahren starb, habe ich den Betrieb übernommen.« Sie schwieg einen Moment. Es schmerzte immer noch. Wahrscheinlich würde es immer so bleiben. »Er liebte es. Nicht nur das Gasthaus, sondern die Idee an sich. Jeden Tag neue Menschen zu treffen, es ihnen behaglich zu machen, sie kennen zu lernen.«
»Ich nehme an, das Geschäft läuft recht gut.«
Sie zuckte die Schultern. »Wir kommen zurecht.« Sie umrundeten eine Kurve, wo der Wald einem breiten Streifen blauen Wassers Platz machte. Vereinzelte Häuser standen hoch oben auf den Klippen. Ein Boot mit geblähten weißen Segeln fuhr mit dem Wind, kräuselte das glasklare Wasser. »Solche Aussichten gibt es auf der ganzen Insel. Selbst wenn man hier lebt, wirken sie beeindruckend.«
»Und Landschaft ist gut für das Geschäft.«
Sie runzelte ein wenig die Stirn. »Es kann nicht schaden«, sagte sie und blickte ihn an. »Interessiert es Sie wirklich, Wale zu sehen?«
»Es scheint mir eine gute Idee, da ich schon einmal hier bin.«
Sie hielt den Wagen an und deutete auf die Klippen. »Wenn Sie Geduld und ein gutes Fernglas haben, ist dort oben eine gute Stelle. Wir haben sie vom Gasthaus aus gesehen, wie gesagt. Aber wenn Sie sie aus der Nähe sehen wollen, ist ein Boot besser.« Als er nichts dazu sagte, startete sie den Wagen wieder. Er machte sie nervös. Er schien nicht das Wasser oder den Wald anzusehen, sondern sie.
Ronald blickte auf ihre Hände. Starke, geschickte, nüchterne Hände, entschied er, obgleich ihre Finger nun ein wenig nervös auf das Lenkrad trommelten. Sie fuhr weiterhin schnell, lenkte den Wagen mühelos über die gewundene bergige Straße. Ein anderer Wagen kam entgegen. Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, hob sie eine Hand zum Gruß.
»Das war Lori, eine unserer Kellnerinnen«, erklärte Charity. »Sie arbeitet in der Frühschicht, damit sie zu Hause ist, wenn ihre Kinder von der Schule kommen. Gewöhnlich haben wir eine Belegschaft von zehn. Im Sommer kommen fünf oder sechs Aushilfskräfte dazu.«
Nach der nächsten Kurve kam das Gasthaus in Sicht. Es war genau so wie erwartet, aber dennoch wirkte es reizvoller als auf den Fotos, die er gesehen hatte. Es war aus weißem Schindel, mit blauen Rahmen um den ovalen Bogenfenstern, fantasievollen Türmchen und einer breiten Veranda. Eine Rasenfläche führte geradewegs zum Wasser hinab, auf das ein schmaler Steg hinausführte. Daran vertäut lag ein kleines Motorboot, das gemächlich auf den Wellen schaukelte.
Ein Mühlrad drehte sich in einem flachen Teich an der Seite des Gasthauses. Im Westen, wo die Bäume dichter standen, erblickte Ronald eines der Blockhäuser, von denen sie gesprochen hatte. Überall blühten Blumen.
»Hinten befindet sich ein größerer Teich.« Charity bog in einen kleinen Parkplatz ein, der bereits zur Hälfte belegt war. »Dort züchten wir Forellen.« Sie stieg aus und wartete auf ihn. »Fast alle benutzen den Hintereingang. Ich kann Sie später herumführen, aber jetzt wollen wir Sie erst einmal unterbringen.«
»Es ist hübsch hier.« Er sagte es, ohne nachzudenken, aber er meinte es ernst. Zwei Schaukelstühle standen auf der hinteren, quadratischen Veranda. Er drehte sich um und musterte die Aussicht. Teils Wald, teils Wasser, und sehr reizvoll. Friedlich. Einladend. Er dachte an die Pistole in seinem Rucksack. Der Schein kann trügen, dachte er.
Mit einem leichten Stirnrunzeln beobachtete Charity ihn. Er schien sich nicht nur umzusehen, sondern alles in sich aufzunehmen. Es war ein seltsamer Gedanke, aber sie hätte schwören können, dass er den Gasthof sechs Monate später genau würde beschreiben können, bis hin zum
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