Das Geheimnis von Sittaford
bis neun Pfund beläuft. Und was meinen Sie, wie viel Eier da im Haus verwirtschaftet werden…! Köchin und Küchenmädchen brachten sie sich von Exeter mit, aber die wollen nicht länger hier bleiben, was ich den Mädels auch nicht verdenken kann. Junges Blut, und diese Einsamkeit…? Mrs Willett passt freilich auch nicht hierher, so eine elegante, reiche Dame! So, nun will ich mal das Teegeschirr abräumen.»
Sie atmete tief durch, und Emily und Charles taten unwillkürlich dasselbe, denn in ihren kühnsten Träumen hatten sie nicht zu hoffen gewagt, dass die Auskünfte in so reichlicher Menge auf sie herniederregnen würden.
«Ist Major Burnaby schon zurückgekommen?»
Sofort hielt Mrs Curtis in ihrer hausfraulichen Verrichtung inne, das Tablett in der Hand.
«Ja, eine halbe Stunde, bevor Sie eintrafen, stiefelte er hier vorbei. ‹Mein Gott, Sir, Sie kommen doch nicht etwa zu Fuß von Exhampton?› rief ich ihm zu. Worauf er in seiner barschen Art sagte: ‹He, warum denn nicht? Wenn ein Mensch zwei Beine sein Eigen nennt, braucht er keine vier Räder. Habe ich den Weg nicht immer einmal wöchentlich gemacht, Mrs Curtis› – ‹Gewiss, Sir›, erwiderte ich ihm, ‹doch jetzt ist es was anderes. Dass Sie nach dem Schreck über den Mord und nach der heutigen Verhandlung noch die Kraft dazu haben – alle Achtung›. Doch er knurrte nur etwas Unverständliches und trabte weiter. Arg mitgenommen sieht er aber trotzdem aus. Mein Gott, es grenzt ja an ein Wunder, dass er Freitag nicht im Schnee stecken geblieben ist! Mut und Tapferkeit gehören dazu, sich in solchen Schneesturm hinauszuwagen. Und ob Sie es mir verübeln oder nicht: Die jungen Herren heutzutage können sich mit denen der alten Schule nicht vergleichen. Jener Mr Ronald Garfield, zum Beispiel, würde es nie getan haben; und das ist meine Meinung und die Meinung von Mrs Hibbert, der Postverwalterin, und auch die Meinung von Mr Pound, dem Schmied, dass der junge Mr Garfield den alten Major niemals allein hätte gehen lassen dürfen. Wenn Major Burnaby in dem Unwetter umgekommen wäre, hätte alle Welt Mr Garfield schwer getadelt. Ja, ja, so ist es.»
Unter dem Geklapper der Teetassen und Teller verschwand sie in der Spülküche. Ihr Mann schob seine Pfeife, die auf ein ehrwürdiges Alter zurückblicken konnte, vom linken Mundwinkel in den rechten.
«Frauen schwatzen reichlich viel», meinte er dann, um nach einem Weilchen diese Ansicht durch den Nachsatz zu ergänzen: «Und meistens ist ihnen die Wahrheit dessen, worüber sie schwatzen, nicht bekannt.»
Emily und Charles hörten seine Weisheit in andächtigem Schweigen an, doch da sie sahen, dass ihr nichts Weiteres folgte, murmelte Enderby zustimmend:
«Das ist wahr – sehr wahr!»
«Ah!» sagte Mr Curtis und widmete sich nunmehr stumm seiner Pfeife.
«Ich möchte jetzt mal zum alten Burnaby hinüberspringen», verkündete der Journalist, «und ihm mitteilen, dass ich morgen früh die Kamera auf sein Häuschen zu richten gedenke.»
«Warten Sie, ich werde Sie begleiten», rief Emily. «Ich will versuchen herauszukriegen, was er über James und über das Verbrechen im Allgemeinen denkt.»
«Haben Sie Gummischuhe? Die Schneemassen haben sich in unergründlichen Matsch verwandelt.»
«Ja. Ich habe mir ein Paar in Exhampton gekauft.»
«Was sind Sie doch für ein praktisches Mädchen!»
«Leider helfen Gummischuhe nicht, wenn man einen Mörder entdecken will; nützlicher sind sie bei Ausführung eines Mordes.»
«Bitte, ermorden Sie mich aber nicht, Emily.»
Seite an Seite gingen sie durch den winterlichen Vorgarten auf den Feldweg, und unmittelbar darauf stellte sich Mrs Curtis wieder bei ihrem Mann ein.
«Zum Major ‘rüber», berichtete dieser einsilbig, aus einer Wolke von Tabaksqualm heraus.
«Nun, was hältst du von ihnen? Sind sie ein Liebespaar oder nicht? Ach, Heiraten unter Vettern und Kusinen sollen so viel Leid und Kummer im Gefolge haben. Taubheit, Stummheit, Schwachsinn und ähnliche Übel. Er ist bestimmt in sie verliebt – darüber gibt’s gar keinen Zweifel. Aber sie? Weißt du, Curtis, sie ist so ein stilles, tiefes Wasser, wie es meine Tante Belinda war; bei der konnte man auch nicht hinter die Fassade gucken. Doch ich denke mir mein Teil.» Und als aus der Rauchwolke ein Brummen quoll, geruhte sie zu erläutern:
«Meiner Meinung nach, Curtis, ist der junge Mann, den die Polizei wegen des Mordes verhaftet hat, ihr Liebster, und sie ist hier heraufgekommen, um zu
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