Das Geheimnis von Sittaford
Augenblick dachte. Musste man es nicht für einen Scherz halten?»
«Es ist höchst eigenartig», meinte der Inspektor kopfschüttelnd. «Waren Sie sehr aufgeregt, Mrs Willett?»
«Ich und sämtliche Gäste. Bis dahin hatten wir unsern Spaß gehabt. – Sie verstehen: ein lustiger Zeitvertreib an einem langen Winterabend. Und dann plötzlich dies! Ich war sehr ärgerlich.»
«Ärgerlich?»
«Gewiss. Weil ich glaubte, jemand hätte es mit Absicht getan.»
«Und jetzt?»
«Jetzt?»
«Ja. Was denken Sie jetzt?»
Mrs Willett machte eine ausdrucksvolle Gebärde.
«Ich weiß nicht, was ich denken soll. Es… es ist unheimlich.»
«Und Sie, Miss Willett?»
«Ich…?» Wie bei einem Unrecht ertappt, fuhr das Mädchen zusammen. «Ich werde es nie vergessen, träume jede Nacht davon. Nein, niemals wieder wird mich jemand zum Tischrücken überreden können.»
«Mr Rycroft würde vermutlich behaupten, es sei tatsächlich eine Geisterbotschaft gewesen, denn er glaubt an solche Dinge. Und schließlich bin ich versucht, es selbst zu glauben, weil eben keine andere Erklärung möglich ist.»
Inspektor Narracott zuckte unwirsch die Achseln. Tischrücken und dergleichen «Firlefanz» waren ein rotes Tuch für ihn.
«Finden Sie es nicht recht freudlos hier im Winter, Mrs Willett?» steuerte er in ein anderes Fahrwasser.
«Nein, es gefällt uns sehr. Der Wechsel macht den Reiz im Leben aus, Inspektor. Wir sind Südafrikaner.» Sie sagte es munter und völlig unbefangen.
«Wirklich? Aus welchem Teil Südafrikas?»
«Kapland. Violet sieht England zum ersten Mal und ist begeistert – vom Schnee hauptsächlich.»
«Aber wie verfielen Sie gerade auf diesen entlegenen Winkel Englands?», fragte er neugierig.
«Wir hatten verschiedene Bücher über Devonshire und besonders über Dartmoor gelesen, so dass ich Lust bekam, es kennenzulernen.»
«Doch Exhampton ist eine so unbekannte kleine Stadt.»
«Eins der Bücher lasen wir auf der Überfahrt, und da war ein junger Passagier an Bord, der von Exhampton sprach und es sehr rühmte.»
«Wie hieß er? Stammte er von hier?»
«Cullen hieß er, glaube ich. Nein, doch nicht – Smythe… Sie wissen ja, Inspektor, wie es an Bord eines Dampfers zugeht: Man freundet sich mit Leuten an, plant ein baldiges Wiedersehen, und eine Woche nach der Landung sind einem schon die Namen entfallen! Aber er war ein netter kleiner Kerl, von der Natur ein wenig stiefmütterlich behandelt; aber seine roten Haare und die vorstehenden Augen machte ein gewinnendes Lächeln wett.»
«Und er verfügte über eine solche Überzeugungskraft, dass Sie sich zu einem Winteraufenthalt in dieser Gegend entschlossen?», fragte der Inspektor belustigt.
«Ja. Nicht wahr, Sie lachen uns wegen dieser Marotte aus?»
Geschickt! dachte Narracott. Ungemein geschickt! Und er begann sich zu vergegenwärtigen, dass Mrs Willett die Taktik verfolgte, den Krieg in des Gegners Land zu tragen.
«Dann schrieben Sie an den Häusermakler und baten um entsprechende Vorschläge?»
«Ja. Er riet uns zu Sittaford, weil es unseren Wünschen am ehesten entspräche.»
«Nun, mein Geschmack wäre es nicht zur grimmigen Winterzeit!», lachte Narracott.
«Wahrscheinlich auch der unsrige nicht, wenn wir ständig in England lebten.»
«Wie erfuhren Sie denn die Adresse eines Häusermaklers in Exhampton? Ich stelle mir das für einen Fremden ziemlich schwer vor.»
Jetzt entstand eine Pause – die Erste im Verlauf der Unterhaltung. Narracott meinte, eine gewisse Unruhe oder eher noch Zorn in Mrs Willetts Augen zu lesen. Auf diese Frage war sie nicht gefasst gewesen und hatte daher auch keine Antwort vorbereitet.
«Wie erfuhren wir sie eigentlich, Violet?», wandte sie sich an ihre Tochter. «Ich kann mich im Augenblick nicht erinnern.»
Und die jungen blauen Augen blickten verstört zu der Fragenden empor. Erschrocken und verstört.
«Ah, ich weiß!» rief Mrs Willett. «Delfridges – das Auskunftsbüro, das mir schon öfter geholfen hat. Ich erkundigte mich nach dem Namen eines hiesigen Agenten und wurde von ihnen an die Williamsons verwiesen.»
Schnell… dachte der Inspektor. Sehr schnell! Aber doch nicht schnell genug. Ha! hab ich sie endlich erwischt…
Er erhob sich und nahm eine flüchtige Durchsuchung des Hauses vor, die sich nicht lohnte. Keine Papiere, keine verschlossenen Schränke oder Schubladen.
Als er sich mit höflichen Dankesworten von Mrs Willett verabschiedete, streifte sein Blick – über die Schultern
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