Das Geheimnis von Sittaford
schnüffeln und zu sehen, was sie ausfindig machen kann. Und denk an meine Worte, Curtis: Wenn es hier etwas ausfindig zu machen gibt, so wird sie es ans Tageslicht fördern…»
14
Z ur gleichen Stunde, als Charles und Emily aufbrachen, um Major Burnaby einen Besuch abzustatten, saß Inspektor Narracott im Wohnzimmer von Sittaford House und bemühte sich, zu einem abschließenden Urteil über Mrs Willett zu gelangen.
Vielleicht wäre es ihm schwer geworden zu sagen, mit welchen Erwartungen er hergekommen war; bestimmt aber wich die Wirklichkeit beträchtlich von ihnen ab.
Es war nämlich Mrs Willett, die die Führung des Gesprächs an sich riss, und nicht er. Durchaus kühl und kampfeslustig war sie ins Zimmer getreten – eine große Frau mit schmalem Gesicht und klugen, scharfen Augen. Sie trug ein kunstvoll besticktes seidenes Jumperkleid, das sich gerade noch an der Grenze dessen hielt, was man auf dem Land tragen darf, sofern man nicht als geschmacklos gelten will. Die dünnen Seidenstrümpfe waren von bester Qualität, desgleichen die zierlichen Schuhe mit den hohen Absätzen.
«Inspektor Narracott?» sagte Mrs Willett. «Natürlich wollen Sie das Haus besichtigen. Was für eine entsetzliche Tragödie! Wir haben davon erst heute Morgen erfahren und den Schreck noch immer nicht ganz überwunden. Aber bitte, nehmen Sie doch Platz, Inspektor. Das ist meine Tochter Violet», fügte sie mit einer Handbewegung hinzu, bei der mehrere kostbare Ringe aufblitzten.
Narracott hatte die junge Dame, die der Mutter auf dem Fuße folgte, kaum beachtet, obwohl sie ein sehr hübsches, schlankes, blondhaariges Mädchen mit großen blauen Augen war.
Mrs Willett wählte für sich einen bequemen Sessel und fuhr dann fort: «Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Inspektor? Freilich kannte ich den armen Captain Trevelyan so gut wie gar nicht, jedoch…»
«Ich danke Ihnen, Madam», erwiderte der Inspektor langsam. «Obgleich es vorläufig schwer zu sagen ist, was nützlich sein kann und was nicht.»
«Möglicherweise enthält das Haus irgendetwas, das Licht auf das Dunkel wirft, aber ich bezweifle es. Denn Captain Trevelyan entfernte all seine persönlichen Habseligkeiten. Er fürchtete sogar, ich könnte mich an seinen Angelruten vergreifen, der arme, gute Mann!» Sie lachte ein wenig.
«Waren Sie nicht mit ihm bekannt?»
«Bevor ich das Haus mietete, meinen Sie? Oh, nein. Und seither habe ich ihn verschiedentlich eingeladen, ohne dass er sich ein einziges Mal hätte blicken lassen. Unsagbar scheu, der Ärmste! Ich habe Dutzende solcher Männer im Laufe meines Lebens kennengelernt. Man schilt sie Frauenhasser und Ähnliches, und dabei ist an allem nur ihre Scheu schuld. Wenn ich mir hätte Zugang zu ihm verschaffen können, wäre er bald geheilt worden. Solche Männer muss man mit Gewalt ihrem Einsiedlertum entreißen.»
Inspektor Narracott begann Trevelyans scharf ablehnende Haltung gegenüber seiner Mieterin zu verstehen.
«Wir beide luden ihn ein», berichtete Mrs Willett weiter. «Nicht wahr, Violet?»
«Ja, Mama.»
«Ein ganz schlichter, unverdorbener Seemann – und Frauen haben ja alle eine kleine Schwäche für Seeleute, Inspektor.»
Hier kam es Narracott zum Bewusstsein, dass bislang einzig und allein Mrs Willett die Richtung des Gesprächs bestimmt hatte. Oh, sie war entschieden eine sehr geschickte Frau – ob unschuldig oder nicht, das musste die Zukunft lehren.
«Es gibt da einen bestimmten Punkt, über den ich gern Ihre Aussage hören möchte», begann er.
«Ja?»
«Wie Ihnen fraglos bekannt ist, entdeckte Major Burnaby die Leiche seines toten Freundes, und zwar infolge eines seltsamen Zwischenfalls, der in diesem Haus stattfand.»
«Sie meinen?»
«Ich meine das Tischrücken. Ich bitte um Verzeihung…»
Rasch wandte er den Kopf, denn von der Seite, wo das junge Mädchen saß, hatte ein schwacher Laut sein scharfes Ohr erreicht.
«Arme Violet», bedauerte ihre Mutter. «Sie hat sich furchtbar aufgeregt – aber eigentlich wir anderen nicht minder. Ich bin nicht abergläubisch, Inspektor, trotzdem muss ich zugeben, dass sich die Sache nicht rational erklären lässt.»
«Es hat sich also zugetragen?»
«Zugetragen? Selbstverständlich hat es sich zugetragen. Zuerst dachte ich, es sei ein Scherz – ein sehr geschmackloser, plumper Scherz, und ich hatte den jungen Ronald Garfield im Verdacht?»
«Nein, Mama. Ich bin sicher, er hat es nicht getan.»
«Kind, ich sage doch nur, was ich im ersten
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