Das Geheimnis von Sittaford
furchtbar packend», wiederholte Emily Trefusis.
Robert Gardner starrte sie an und warf sich dann in seine Kissen zurück.
«Ich bin müde», quengelte er, «ich kann nicht mehr sprechen. Schwester, wo sind Sie? Schwester, ich bin müde.»
Geräuschlos war die Pflegerin aus dem Raum nebenan gekommen. «Mr Gardner ermüdet sehr leicht», wandte sie sich an Emily. «Und es wäre besser, wenn Sie Ihren Besuch jetzt abbrächen, Miss Trefusis.»
Emily nickte freundlich.
«Adieu, Onkel Robert. Vielleicht werde ich eines Tages zurückkehren.»
«Was meinen Sie?»
«Au revoir!» flötete Emily mit einem bezaubernden Lächeln. Von Betty geleitet, ging sie zur Haustür und blieb plötzlich stehen.
«Oh, Betty, ich habe meine Handschuhe oben gelassen.»
«Ich werde sie holen, Miss.»
«Nein, bemühen Sie sich nicht. Ich hole sie schon selbst.»
Leichtfüßig rannte sie die Treppe hinauf und betrat, ohne anzuklopfen, das Zimmer des kranken Hausherrn.
«Oh…! Verzeihung! Meine Handschuhe!» Mit einem raschen Griff nahm sie ihr Eigentum wieder an sich, lächelte betörend Patient und Schwester an, die wie ein Liebespaar Hand in Hand dasaßen, und rannte davon.
«Nun hat sich das System mit den vergessenen Handschuhen schon zum zweitenmal als nützlich erwiesen», murmelte sie. «Arme Tante Jenny! Ob sie so etwas ahnt? Wahrscheinlich nicht. Jetzt muss ich mich aber beeilen, sonst wird Charles ungeduldig.»
Enderby wartete in Eimers altem Ford an der verabredeten Stelle. «Irgendeinen Erfolg gehabt?» fragte er, als er sie sorgsam in die Decke wickelte.
«Jj-a», entgegnete sie zögernd. «Aber ich werde es Ihnen erst dann erzählen, wenn ich überzeugt bin, dass es mit unserer Sache etwas zu tun hat. Es hieße nicht anständig handeln, würde ich früher darüber reden.»
Enderby seufzte.
«Oh, wie hartherzig Sie sind!»
«Bedaure… es geht nicht anders», erwiderte Emily fest.
«Wie Sie wollen.»
Es klang kalt und feindselig.
Schweigend fuhren sie durch die Nacht – ein beleidigtes Schweigen von Seiten Enderbys, ein zerstreutes von Seiten Emilys. Schon glitten die ersten Häuser von Exhampton an ihnen vorbei, als sie eine völlig unerwartete Bemerkung machte.
«Warum immer nur die Gewinner ins Auge fassen…?»
«Wie bitte?»
«Ich meine, Charles, dass wir uns immer mit den Leuten beschäftigt haben, die um irgendeines Vorteils willen Captain Trevelyan getötet haben könnten. Wenden wir uns doch mal den anderen zu – ohne Motiv und ohne Gelegenheit.»
«Was für drollige Einfälle Sie haben, Emily!», lachte Enderby. «Aber meinetwegen! Da wären die Willetts und Burnaby und Rycroft und Ronnie… Oh, und Mr Duke.»
«Ja. Keiner von ihnen kann der Täter sein, weil sie alle zu der fraglichen Zeit zusammen waren, sich gegenseitig sahen – und unmöglich, dass sie alle unter einer Decke stecken. Ganz gewiss, Charles, sie kommen als Täter nicht in Frage.»
«Keiner von den Bewohnern Sittafords kommt in Frage», sagte der Journalist. «Nicht einmal Eimer» – er senkte die Stimme, damit ihn der Chauffeur nicht verstünde –, «da die Schneemassen die Straße am Freitag unbefahrbar machten.»
«Er hätte zu Fuß gehen können», gab Emily gleichfalls im Flüsterton zurück. «Wenn Major Burnaby noch am Abend durchkam, hätte Eimer gegen Mittag aufbrechen können, um fünf Uhr in Exhampton den Mord ausführen und danach zurückgehen können.»
Enderby schüttelte den Kopf.
«Der Rückweg wäre wohl unmöglich gewesen. Erinnern Sie sich, Emily, dass gegen halb sieben abermals ein schlimmes Schneetreiben einsetzte…? Außerdem, meinen Sie, dass ein in Sittaford Ansässiger nach Exhampton und zurück gehen könnte, ohne dass das ganze Dorf es erführe und sich darüber wunderte?»
«Richtig. In Sittaford weiß jeder, was der andere zu Mittag kocht!», lachte Emily.
«Und daher erlaubte ich mir auch die Bemerkung, dass keiner von den Einheimischen in Frage käme. Die Einzigen, die nicht bei den Willetts zum Tee eingeladen waren – Miss Percehouse und Captain Wyatt –, sind krank und schwach und einem Schneesturm nicht gewachsen. Und Mr und Mrs Curtis? Oh, wenn die am Freitag nach Exhampton gegangen wären, würden sie bestimmt auch das Wochenende dort geblieben sein! Mrs Curtis hätte sich doch mit ihrer Freundin aussprechen müssen…!»
«Charles, Sie sind ein Spötter. Aber wie steht’s mit Abdul?»
«Nein. Ich weigere mich rundweg, zu glauben, dass dieser arme Orientale einen Menschen
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