Das Geheimnis von Summerstone - Die furchtlosen Vier
rannten zum Haus zurück. Lulu stocherte mit ihren Schlüsseln im Schloss herum und hoffte, dass ihre Eltern nicht zurückkommen würden, weil sie etwas vergessen hätten. Schließlich war die Tür offen und sie rannte zum Sofa. Marvin folgte ihr dicht auf
den Fersen. Unter dem mittleren karierten Kissen lag der längliche rosarote Umschlag, aus teurem, handgeschöpftem Papier und mit offiziell wirkendem Goldaufdruck.
Die Punchalowers gehörten zur Schickeria des Country Clubs und bekamen häufig edel gestaltete Einladungen, aber nie in einer so vulgären Farbe wie Rosa. Außerdem hatten sie bisher noch keine dieser Einladungen versteckt. Lulu stellte fest, dass als Absender ein Postfach in Farmington / Massachusetts angegeben war. Sie hielt es für unwahrscheinlich, dass ihre Eltern jemanden in Massachusetts kannten, schon gar nicht jemanden mit einem Postfach. Gab es so was nicht nur für Preisausschreiben und für verrückte Leute, die fernab der Zivilisation in der Pampa wohnten?
Lulu öffnete langsam den Umschlag und zog einen Brief, eine Broschüre und eine Landkarte heraus. In dem Brief stand, sie sei angenommen. Sie fragte sich, ob ihre Eltern tatsächlich beschlossen hatten, sie in ein Internat zu schicken, wie sie ihr schon häufig angedroht hatten. Lulus Augen wurden zuerst schmal und dann so groß, dass sie ihr fast aus dem Kopf traten, als sie den Namen der Einrichtung las: Phobinasium. Sie sollte sich am 25. Mai um 9 Uhr morgens am Busbahnhof in Farmington / Massachusetts einfinden und dort einen Abgesandten des Phobinasiums treffen.
Mit einer Hand auf ihrem zuckenden linken Auge
drehte sich Lulu zu Marvin um: »Junge, Junge, ich sitze mächtig in der Tinte! An einem Busbahnhof hat noch nie etwas Gutes begonnen.«
Auf das Phobinasium hatte Mrs Punchalower ein bekannter Spezialist, Dr. Guinness, aufmerksam gemacht. Dieser Doktor war ein Respekt einflößender Mann Ende fünfzig, der großes Verständnis für Lulus Ängste hatte, sie aber nicht dazu bewegen konnte, in seine Praxis im vierten Stock eines Gebäudes zu kommen, in dem es nur einen Aufzug, aber keine Treppe gab.
Lulu drohte dem Wachmann vom Sicherheitsdienst alles Mögliche an, damit er sie die Feuerleiter hochklettern ließ, doch er lehnte höflich, aber bestimmt ab.
»Wenn Sie mich nicht die Feuerleiter hinaufklettern lassen, sehen Sie Ihre Kinder nie mehr wieder, das schwöre ich ihnen«, sagte Lulu in ihrer besten Gangstermanier.
»Ich habe keine Kinder«, antwortete der Mann gähnend.
»Hm, ich wollte sagen, Ihre Frau.«
»Ich habe keine Frau.«
»Und Freunde?«
»Hab ich auch nicht.«
»Ach, kommen Sie«, sagte Lulu genervt, »jeder hat Freunde.«
»Ich nicht. Ich hab bloß einen Goldfisch.«
»Okay, armes Würstchen«, sagte Lulu und verdrehte die Augen, »wenn Sie diesen Fisch wiedersehen wollen, lassen Sie mich lieber auf die Feuerleiter. Sonst brate ich mir den kleinen Kerl zum Abendessen.«
»Also, den Fisch von jemandem zu bedrohen, ist wirklich eiskalt, aber du darfst trotzdem nicht die Feuerleiter hoch.«
»Puh!«, schnaubte Lulu, als sie aus dem Gebäude stürmte, es war einfach unmöglich, einen Mann unter Druck zu setzen, dessen einziger Freund ein Fisch war.
In einer Geste außergewöhnlichen Entgegenkommens erklärte sich Dr. Guinness bereit, die Therapie-Sitzungen in seinem Auto auf dem Parkplatz abzuhalten. Statt auf der Couch des Therapeuten saß Lulu auf der Rückbank des Wagens und Dr. Guinness vorn. Gelegentlich wurde es so stickig, dass der Arzt den lauten Motor seines reichlich Diesel schluckenden Mercedes, Baujahr 1973, anließ, um die Klimaanlage einschalten zu können. Aufgrund des streng vertraulichen Austauschs zwischen Arzt und Patientin konnte man die Fenster nur einen Spalt breit öffnen, falls jemand vorbeikommen und lauschen würde.
Nach fünf Monaten bekam Dr. Guinness Hitzepickel und einen schmerzhaft verkrampften Nacken, weil er immer den Hals verrenken musste, um Lulu auf der Rückbank anzusehen. Daher bat er Lulus Eltern nach einer Sitzung mit ihr zu einem Gespräch in sein Auto.
»Ich fürchte, es ist Zeit, dass ich meine therapeutische Arbeit mit Lulu beende«, erklärte Dr. Guinness ruhig.
»Was? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie kommt doch erst fünf Monate zu Ihnen - meine Frau war zehn Jahre in Therapie und ihr Arzt hat sie nicht rausgeschmissen!«, schäumte Mr Punchalower und tippte gleichzeitig etwas in seinen BlackBerry ein.
»Also bitte, Edward, sag doch
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