Das Geheimnis von Summerstone - Die furchtlosen Vier
zurückziehen. Theo biss sich auf die Lippen und bereute es, dass er die Tetanusspritze aus seinem Erste-Hilfe-Täschchen nicht mitgenommen hatte. Die Krankenschwester an seiner Schule hatte gesagt, von Rost bekäme man keinen Wundstarrkrampf. Eine Wunde, die mit etwas Rostigem in Berührung käme, schaffe nur ein ideales Klima für die Vermehrung von Bakterien. Aber als er jetzt den Rost betrachtete, begann er, an der Aussage der Krankenschwester zu zweifeln.
Theo konnte nicht mit ansehen, wie sich Mrs Wellington mit dem Riegel abmühte. Er wandte sich dem halben Rumpf einer DC-8-Maschine aus dem Jahr 1959 zu, der an der Wand gegenüber dem Polofeld stand. Das rot-weiß-blaue Logo der United Airlines war etwas verblasst. Theo drückte sein Gesicht an ein kleines rundes Fenster, das von seinem Atem beschlug. Innen entdeckte er einen Wagen mit Snacks, der augenblicklich ein glühendes Verlangen nach gesalzenen Erdnüssen in ihm weckte. Vielleicht bewahrte Mrs Wellington in dem Wagen Leckereien auf, um ein authentisches Erlebnis zu ermöglichen. Theo stellte sich vor, er würde sich in dem Flugzeug verstecken, Erdnüsse knabbern, seine Familie vermissen und schlafen. Das wäre ihm viel lieber, als seine Zeit mit seinen risikofreudigen Gefährten zu verbringen.
Endlich hatte Mrs Wellington den rostigen Riegel geöffnet und machte das Tor zum Polofeld auf. Ein starker Geruch nach Pferdemist schlug ihnen entgegen. Er war voll und erdig und ließ Madeleine, Lulu, Garrison und Theo zurückzucken.
»Wow, das ist …«, murmelte Garrison.
»Widerlich«, beendete Lulu seinen Satz.
»Soll uns das helfen, das Steak zu vergessen?«, spottete Theo.
»Mist ist ein natürliches Reinigungsmittel für das Riechorgan. Habt ihr das nicht gewusst?«
»Nee«, sagte Lulu missmutig und von dieser neuerlichen Attacke auf ihren Geruchssinn angewidert.
»Aus diesem Grund gibt es in Parfümerieabteilungen häufig ein kleines Schälchen Mist, damit die Kundinnen zwischen den verschiedenen Parfums daran riechen können.«
»Das habe ich noch nie gesehen«, sagte Madeleine aufrichtig.
»Macht nichts, deshalb seid ihr ja hier. Um etwas zu lernen«, antwortete Mrs Wellington und tänzelte mit wiegendem Gang auf das Spielfeld.
Es war etwa halb so groß wie ein Fußballfeld. In der Mitte standen acht merkwürdig reglose Pferde. Wandbilder von sanften Hügeln und weiß gestrichenen Holzzäunen umgaben den unnatürlich grünen Rasen. Durch die verglaste Decke strömte Sonnenlicht herein. Es sah ländlich idyllisch und gleichzeitig unheimlich
aus. Madeleine blieb in der Nähe der Tür. Nachdem sie den Rasen zuerst scharf angesehen hatte, tat sie etwas außerordentlich Untypisches: Sie berührte das Gras.
»Mrs Wellington, ist das Gras künstlich?«
»Es ist bester Kunstrasen, Liebes. Fast so natürlich wie echtes Gras.«
»Ich fürchte, Sie haben unrecht, Mrs Wellington«, sagte Madeleine beruhigt, »es ist viel besser. Denn in Plastikgras können keine Krabbeltiere leben!«
»Lassen Sie die armen Pferde hungern? Kein Wunder, dass sie so müde aussehen. Schauen Sie sie doch an, sie rühren sich kaum!«, rief Theo aus.
»Kaum?«, gab Mrs Wellington zurück. »Theo, sie rühren sich überhaupt nicht. Sie sind tot.«
»Haben Sie sie getötet?«, fragte Theo mit zitternder Unterlippe.
»Sie getötet? Um Himmels willen, nein. Ich habe sie nur ausstopfen lassen. Gute Arbeit - man kann sie noch reiten.«
»Und woran sind sie dann gestorben?«
»An einem merkwürdigen Schimmelpilz in ihrem Heu. Es war niederschmetternd. Mir brach das Herz bei der Vorstellung, ich müsste ohne sie leben. Daraufhin habe ich das Polofeld angelegt.«
»Und haben Sie herausgefunden, wo dieser Schimmel herkam? Ist er auch für Menschen giftig?«
»Theo, bitte mach dir darüber keine Gedanken.
Soweit ich weiß, kocht Schmidty nie mit Heu«, sagte Mrs Wellington, hielt dann inne und blickte an die Decke, als müsse sie das noch einmal überdenken.
Inzwischen hatte Madeleine aufgehört, sich einzusprühen, und konzentrierte sich auf die Pferde.
»Ich will ja nicht neugierig sein, Mrs Wellington, aber wurde das Fell dieser Pferde gegen Motten und andere Schädlinge behandelt?«, erkundigte sich Madeleine.
»Selbstverständlich!«
Erleichtert drehte sich Madeleine um und besah die neue Umgebung.
Mrs Wellington drehte sich zu den anderen und sagte lautlos, nur mit den Lippen: »Nein.«
Lulu, Garrison und Theo fragten sich unwillkürlich, was sie ihnen sonst
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