Das Geheimnis von Summerstone - Die furchtlosen Vier
wirklich sagen, dass Mrs Wellington, die verrückte alte Dame mit der Perücke, die mir beigebracht hat, mit dem ganzen Mund voller Vaseline zu winken, tatsächlich den Leuten geholfen hat, ihre Ängste loszuwerden?«, fragte Garrison entgeistert.
»Oh ja. Die gnädige Frau ist eine erstklassige Lehrerin.«
»Und wenn Sie ›Schüler‹ sagen, dann meinen Sie auch wirklich Menschen und nicht die Katzen?«
»Oh nein, ich meine Kinder. Menschenkinder. Die gnädige Frau hat so viele behandelt. Du solltest sehen, wie viele Ansichtskarten sie jedes Jahr bekommt.«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«
»Ihr Scheitern bei Abernathy hat sie gequält, sie viele Male an den Rand der Verzweiflung gebracht. Und ich meine damit ein katastrophales, schreckliches, absolut fürchterlich quälendes Scheitern.«
Garrison saß schockiert da und wusste nicht, was er
von der Information halten sollte, die er gerade bekommen hatte. Irgendwas stimmte hier nicht. Vielleicht war Schmidty doch etwas seniler, als er wirkte. Garrison starrte den alten Mann an, während dieser versuchte, seinen Turban ohne die Hilfe eines Kammes wieder auf dem Kopf zu befestigen. Das war nicht leicht, denn normalerweise brauchte er dazu zwanzig Minuten und eine ganze Dose Haarspray. Gerade, als Garrison Madeleine dazuholen wollte, damit sie Schmidtys Haare in Ordnung brachte, hallte ein Schrei durch das Haus. Es war nicht das Gebrüll eines Löwen, sondern viel näher am Aufheulen eines Dieselmotors, nur entschieden menschlicher.
Das erschreckende Gebrüll weckte die Neugier aller, die es hörten. Madeleine rannte in ihrem rosaroten Bademantel mit eingearbeitetem Schleier sofort nach unten und fürchtete, Munchhauser und Schmidty hätten angefangen, sich zu prügeln. Madeleine war bereit, Schmidty mit einer Ladung Insektenspray zu verteidigen. In der Küche erstarrten Theo und Makkaroni mitten im Kauen. Theo wäre beinahe sofort losgerannt, aber er konnte einfach nicht noch mehr dramatische Ereignisse verkraften. Daher aß er weiter und lauschte nach weiteren verdächtigen Geräuschen. Er war sich nicht ganz sicher, aber er hatte den Eindruck, dass auch Makkaroni leiser kaute, damit sie leichter verfolgen konnten, was im Haus geschah. Gerade als Theo sich ein besonders großes Stück Brot in den Mund geschoben
hatte, hörte er Schmidty in höchster Qual aufschreien. Makkaroni rannte als Erster los, Theo sauste hinterher.
Theos Mund wurde trocken vor Angst, als er Makkaroni in Richtung Polofeld folgte. Das Brot in seinem Mund klumpte zusammen und ließ sich unmöglich schlucken. Er hatte keine Zeit, in die Küche zurückzulaufen und ein Glas Milch zu holen, deshalb blieb Theo nichts anderes übrig, als den großen und halb zerkauten Brocken Brot auf den Boden zu spucken, ehe er das Polofeld betrat.
Madeleine, Munchhauser und Schmidty standen im Kreis und starrten mit düsteren Gesichtern zu Boden. Lulu und Garrison standen flüsternd in einer Ecke.
»Was soll der Krawall?«, sagte Theo und schob sein Gesicht zwischen Schmidty und Munchhauser, damit er sehen konnte, was los war. Der Anblick, der sich ihm bot, brannte sich für immer in sein Gedächtnis ein. Er war verstörender als alles, was er je gesehen hatte, einschließlich des Todes seiner Großmutter. Vor ihm lag Mrs Wellington mit aschfahlem Gesicht und blauen Lippen. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Perücke saß schief, sodass ein Stück ihres schuppigen Kahlkopfes sichtbar wurde.
»Welly ist tot«, erklärte Munchhauser kalt.
21
Jeder hat vor etwas Angst: Mnemophobie ist die Angst vor Erinnerungen
T heo brachte kein Wort heraus. Diese Endgültigkeit war so allumfassend und brachte sein Hirn völlig durcheinander. Seine Lehrerin - die er noch nicht einmal gemocht hatte - war tot. Und sie würde nie mehr lebendig werden. Mrs Wellington würde nicht erfahren, wer der nächste Präsident wurde, welche Filme die Herzen der Menschen bewegen würden oder welche wissenschaftlichen Fortschritte es bei neuen Haarwuchsmitteln geben würde. Bei all dem würde sich Theo an die seltsame Mrs Wellington erinnern, die nun nicht mehr da war und nicht an diesen neuen Entwicklungen teilhaben konnte. Und dann wäre plötzlich auch wieder das Bild ihres leblosen Körpers da.
Theo wusste später nicht, wie er vom Polofeld in sein Bett gekommen war, aber er schaffte es. Als er
aufwachte, lagen sowohl Makkaroni als auch Madeleine mit trübsinnigen Gesichtern neben ihm. Lulu lag fest zusammengerollt
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