Das Geheimnis von Turtle Bay
weil ich so gegen diese Gefühle ankämpfen konnte.“
Bree erwartete, mehr von ihr zu erfahren, doch ohne ein weiteres Wort eilte sie durch den Flur davon.
Nachdem sie geduscht, eine Hose angezogen und sorgfältig eine Bluse ausgewählt hatte, verließ sie das Gästezimmer und ging in Richtung Treppe. Die Tür zum Raum gleich neben ihrem stand ein Stück weit offen, und Bree zögerte einen Moment, ging dann aber weiter nach unten. Es sollte wohl ein Kinderzimmer werden, mit blassgelber Regenbogentapete und mit einem gleichfalls gelben Teppich. Aber es standen keine Möbel darin, und so erinnerte es Bree an ein wunderschön verpacktes, aber nie geöffnetes Geschenk.
Wie es schien, hatte Daria recht gehabt. Nikki hatte wohl tatsächlich zwei Fehlgeburten erlitten, und wenn man berücksichtigte, dass das Kinderzimmer praktisch fertiggestellt war, dann musste die Schwangerschaft recht weit fortgeschritten gewesen sein. War es genauso schlimm, ein Baby zu verlieren, das man niemals kennengelernt hatte, wie eine Schwester zu verlieren, der man sich verbundener fühlte als jedem anderen Menschen und die man doch nicht wirklich gekannt hatte?
Brees Magen verkrampfte sich, als sie auf der Treppe nach unten ging und Josh und Nikki reden hörte, ohne sie aber zu verstehen. Als sie zu ihnen kam, wurde ihr klar, dass sie die beiden in ihrer Zweisamkeit gestört hatte, da Josh einen Arm um Nikki gelegt hatte. Die jedoch hielt ihre freie Hand auf ihre Hüfte gestützt, als habe sie ihm etwas klarmachen wollen.
„Bree, schön, dass du mitkommen konntest. Ein wenig Tapetenwechsel tut dir sicher gut“ , begrüßte Josh sie und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, ehe er wieder Abstand nahm. In seinen Augen bemerkte sie Tränen, die er aber erfolgreich wegblinzelte, während er sich abwandte. Entweder freute er sich, sie zu sehen, oder er und Nikki hatten über etwas gesprochen, das ihn aufgewühlt hatte. Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie wie Daria aussah. Sie hatte bewusst eine Bluse ausgesucht, die ihre Schwester mehr als einmal zu ihrem angeblichen Buchhaltungskurs angezogen hatte, obwohl sie sich in Wahrheit mit einem noch immer unbekannten Mann beim Gator Watering Hole traf. Bree wollte Josh zu gern darüber ausfragen, aber sie wusste nicht, ob er tatsächlich derjenige war, der ihr die gewünschten Antworten geben konnte.
„Also dann, Ladies.“ Er rieb sich vergnügt die Hände. „Vor dem Abendessen werden wir Caipirinha mit hauseigenem Cachaça mixen.“
„Eine was womit?“ , fragte Bree. „Ist das was Mexikanisches? Mein Geschäftspartner“ – jetzt hatte sie es gesagt – „trinkt ständig einen Magenschnaps namens Yerba Maté.“
„Das ist das brasilianische Nationalgetränk“ , erklärte Josh, fasste beide Frauen am Arm und führte sie nach draußen und die Verandastufen hinunter, „das sich hier allmählich ausbreitet, vor allem in Miami. Wer will da noch behaupten, dass eine anstrengende Wahlkampagne nicht auch ihre schönen Seiten hat?“
Seine fröhliche Art war aufgesetzt, das merkte Bree ihm deutlich an. Er brachte sie zu einem Tisch auf dem Rasen am Rand zum östlichen Zuckerrohrfeld. Auf verschiedenen Tabletts standen drei hohe Gläser, Schalen mit Limettenstücken, Zucker und Eis. Josh bückte sich und hob einen dicken Stock, ein scharfes Messer und eine lange Machete mit hölzernem Handgriff auf.
„Sieht aus, als wollte da jemand auf den Kriegspfad gehen“ , meinte Bree, doch ihre Stimme zitterte unmerklich. Unwillkürlich machte sie einen Satz nach hinten, als Josh mit der Machete weit ausholte und mit ihrer Klinge die warme, feuchte Luft zerschnitt.
„So“ , sagte er, „hat man früher Zuckerrohr geschnitten.“
Die Machete durchtrennte zwei Pflanzen, die in Richtung der beiden Frauen zu kippen begannen.
„Timber!“ , rief Nikki, und Bree fiel auf, dass ihr Atem jetzt schon nach Alkohol roch. Jede von ihnen bekam einen der gigantischen Stängel zu fassen, auch wenn die Blätter sie unter sich zu begraben drohten.
„Mann, ist das ein gutes Gefühl, so zu arbeiten“ , tönte Josh und hieb mit der Klinge auf weitere Pflanzen ein.
„Pass auf, sonst verletzt du dich noch“ , warnte ihn Nikki. „Wenn du morgen deine Alma Mater besuchst, solltest du nicht unbedingt ein paar dicke Verbände tragen!“
Stimmt, überlegte Bree. Josh hielt ja morgen an der Lely High School eine Rede. Wenn sie es wagen konnte, ihn unter vier Augen zu erwischen, dann würde sie ihn
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