Das Geheimnis von Turtle Bay
fragen, ob seine Schweigepflicht auch gegenüber den Angehörigen eines Patienten Bestand hatte. Mehr als einmal hatte sie Ben beobachtet, wie er seinen eigenen Mandanten oder anderen Anwälten Informationen entlockte, die sie gar nicht preisgeben wollten. Sie hatte ihm auch so bereits zu viel verraten, und jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass weder Ben noch Bree – die sich laut seinen Worten auf einem Kreuzzug befand, um den Mörder ihrer Zwillingsschwester zu finden – auf die Idee kam, im Hafen herumzufragen und dabei zu erfahren, dass Amelia ein Boot gemietet hatte.
Trotz ihrer Angst vor dem offenen Meer war sie hinausgefahren, bis sie die Mermaids II entdeckte. Sie stellte den Motor ab und ließ ihr Boot herantreiben, denn wenn Daria sie hörte, würde sie sie gleich wieder wegschicken. Das gemietete Motorboot hatte Darias Boot fast erreicht, als die sie bemerkte. Sie zog das Motorboot heran, damit Amelia an Bord kommen konnte, obwohl sie ihr zugleich immer wieder sagte, sie solle verschwinden.
Und dann war alles so schnell passiert. Sie stritten sich weiter, und Amelia versetzte ihr einen Stoß, der Daria mit dem Hinterkopf gegen das Steuerrad schlagen ließ. Daria hatte davon gesprochen, ihr sei übel und ein wenig schwindlig, und nun war Amelia der Grund dafür klar. Der Stoß war nicht der Grund gewesen, dass sie das Gleichgewicht verlor und nach hinten kippte. Der Schwindel war eine Folge ihrer Schwangerschaft, und vermutlich wollte sie auch deswegen nicht tauchen. Alles war Darias Schuld, nicht ihre, sagte sich Amelia.
Sie hatte es zurück auf ihr Motorboot geschafft und war in Panik, dass Daria womöglich tot war und man ihr die Schuld für etwas gab, das in Wahrheit ein Unfall war. Da sie fürchtete, Bree könnte auftauchen, wenn sie das Motorengeräusch hörte, ließ sie das Boot erst ein Stück weit davontreiben, ehe sie es anließ. Aber sie musste sich beeilen, da das Unwetter bedrohlich näher kam. Bestimmt würde Bree auftauchen und ihrer Schwester helfen. Die beiden waren immer füreinander da gewesen, dann konnte sie es jetzt ja auch sein.
Doch dem freundlichen Psychiater mit der sanften Stimme verriet sie davon nichts. Selbst wenn er ein katholischer Priester gewesen wäre, dem man vertrauen konnte – und von der Sorte gab es in letzter Zeit immer weniger –, und wenn sie in einem schalldichten Beichtstuhl gesessen hätte, kein Wort über die wahren Ereignisse wäre ihr über die Lippen gekommen. Auch wenn Daria offiziell ertrunken war und auch Amelia ihr die Schuld für ihre eigene Misere gab, fürchtete sie doch, dass sie ihre eigene Schwester getötet hatte. Da würde ihr nicht mal so ein exzellenter Anwalt wie ihr eigener Mann helfen können.
Sie folgten immer noch dem gewundenen schmalen Kiespfad, der sich durch die Zuckerrohrplantage mit ihrer schweren, dunklen Erde zog. Bree war neugierig, aber auch nervös. Die Blätter an den dicken Rohren raschelten und bewegten sich, und das Feld an sich schien wie von einem eigenen Leben erfüllt zu seufzen. Als hinter ihr erschreckte Vögel aufflogen, zuckte Bree zusammen und drehte sich um, ermahnte sich aber sofort, sich nicht so paranoid zu verhalten. Insekten schwirrten umher, nach denen sie jedoch vergeblich schlug. Als sie sich sicher sein konnte, dass weder Nikki noch Josh auf sie achtete, kippte sie ihren Drink aus.
Cole gegenüber hatte sie behauptet, die Austins würden ihr schon nichts tun. Wenn Josh keine Affäre mit Daria gehabt hatte, dann konnte ihr Besuch keine Probleme verursachen. Und falls doch, würde Josh versuchen, leise Töne anzuschlagen. Dazu würde gehören, Bree auf seine Seite zu ziehen, ihr aber nichts anzutun. Darias Tod war zu ihrer eigenen Lebensversicherung geworden. Aber wohin führten die zwei sie?
„Keine Angst“ , rief Nikki ihr über die Schulter zu, als hätte sie ihre Gedanken erraten. „Wir wollen Ihnen nur unser privates Häuschen am Teich zeigen.“
„Ist das Ihr Ernst? Hier mittendrin?“ Ringsum befanden sich nur überall die hoch aufragenden Zuckerrohre mit ihren scharfkantigen Blättern.
„Und da der Teich nicht verschmutzt ist“ , fuhr Nikki fort und trank einen großen Schluck Caipirinha, „kann man dem Zuckerrohr nicht die Schuld geben, dass es Ihrem Hunderte von Kilometern entfernten Seegras schlecht geht.“
„Dem Zuckerrohr nicht, und auch nicht dem Caipirinha, meine Liebe“ , tönte John so vergnügt, dass es nicht mehr echt sein konnte. „Apropos Zuckerrohr, da fällt mir
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