Das Geheimnis von Turtle Bay
suchte. Doch sie tat nichts dergleichen. Stell dich deinem Problem , hätte Dad zu ihr gesagt. Sie und Daria teilten diese Einstellung, aber hatte ihre Schwester auf dem Boot versucht, sich jemandem zu stellen, dem sie nicht gewachsen war?
„Cole, ich kenne das Gebiet und die Strömungen wie meine Westentasche. Ich muss es machen, sonst werde ich mir das nie verzeihen können. Ganz bestimmt würde ich es fühlen, wenn sie … wenn sie nicht mehr leben sollte. Und das tue ich nicht. Aber ich spüre, dass sie in Gefahr ist. Nenn es weibliche Intuition oder den sechsten Sinn der Zwillingsschwester, aber ich muss mich dort umsehen, wo ich getaucht habe.“
„Dann komme ich mit – allerdings unter einer Bedingung. Wenn dir da unten schlecht wird oder wenn ich etwas sehe, das mir nicht gefällt, dann verschwinden wir auf der Stelle. Und wir werden unsere Suche nach der Kamera nicht ausweiten, wenn wir sie nicht in der unmittelbaren Umgebung finden. Versprich mir das“ , sagte er und fasste sie an den Oberarmen. „Denn es ist mein Ernst. Wenn da irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, dann hole ich dich aus dem Wasser. Zum zweiten Mal innerhalb von ein paar Tagen.“
„Ja, schon gut, ich verspreche es dir. Das bin ich dir allemal schuldig. Ich glaube, Gott hat dich geschickt, damit du mich rettest und mir bei der Suche nach Daria hilfst.“
„Dann will ich nur hoffen, dass ich die Erwartungen auch erfülle, die ihr drei in mich setzt“ , gab er zurück und drückte sie zu ihrer Überraschung fest an sich, ehe er sich auf den Weg machte.
Während Manny das Skiff vorbereitete und die Sauerstofftanks auffüllte und Cole zu seiner Werkstatt fuhr, um seine eigene Tauchausrüstung zu holen, erledigte Bree in aller Eile vier Telefonate. Sie rief im Krankenhaus an und erklärte, sie habe sich selbst entlassen. Die Frau am Empfang war darüber sehr verärgert und drohte, sie werde sofort Dr. Hawkins davon in Kenntnis setzen, doch Bree legte gleich wieder auf. Da sie wusste, dass Amelia sie mit allen Mitteln vom Tauchen abhalten würde, rief sie bei ihr zu Hause an und erreichte den Anrufbeantworter. Genau damit hatte sie auch gerechnet, weil Amelia um diese Zeit ihre Jungs aus der privaten Grundschule abholte. Sie sprach auf Band, sie fühle sich bereits wieder viel kräftiger und sei nach Hause gegangen.
Als Nächstes wählte sie den Notruf der Küstenwache, erfuhr aber nichts Neues, und wandte sich dann an die Civil Air Patrol. Dort hörte sie zu ihrer Enttäuschung, dass ihr Bekannter Dave Mangold nicht in der Stadt war und nicht an der Suche teilgenommen hatte. Weder Daria noch das Boot waren bislang gesichtet worden. Beide Leitstellen versprachen ihr aber, sich umgehend bei ihr zu melden, sobald es etwas zu berichten gab.
Sobald es etwas zu berichten gab … Bree fürchtete sich bereits jetzt vor diesen beiden Anrufen.
Ihr fiel ein, dass ihr Taucheranzug, den sie sonst trug, noch im Krankenhaus war, also zog sie einen alten pinkfarbenen aus Elasthan an und eilte nach unten. Auch wenn sie Cole nichts davon sagen würde und sie ohnehin noch genug zu tun hatte, fühlte sie sich etwas seltsam, so als würde sie schweben oder sich außerhalb ihres eigenen Körpers befinden. Dennoch war sie sich sicher, dass diese Wahrnehmung nichts mit dem Schicksal ihrer Schwester zu tun haben konnte.
Von Dad wusste sie allerdings, dass er bei ihrer und Darias Geburt im Warteraum gesessen und ganz deutlich den Moment wahrgenommen hatte, als ihre Mutter starb. Er wusste, sie war gestorben, weil er das Gefühl hatte, den Kontakt zum Boden zu verlieren. Es war ganz eigenartig gewesen, und als er es ihnen später erzählte, da verglich er es mit dem Gefühl bei einer Achterbahnfahrt, wenn die Wagen den höchsten Punkt erreichen und dann steil bergab rasen. Nur dass er keine begeisterte Aufregung verspürt hatte, sondern von einer unheilvollen Ahnung erfüllt worden war. Doch daran wollte sich Bree jetzt gar nicht erinnern, über diese Dinge wollte sie nicht nachdenken.
Als sie zum Schreibtisch ging, um den Anrufbeantworter für den Geschäftsanschluss abzuhören, nahm sie hinter sich schwere Schritte wahr. Sie drehte sich um, weil sie mit Manny oder Cole rechnete, aber stattdessen stand vor ihr der große, bullige Sam Travers, dem der Konkurrenzbetrieb auf der anderen Seite der Bucht gehörte. Er stand in der Tür und schien Licht und Luft gleichermaßen den Weg nach drinnen zu versperren.
Er war über eins neunzig groß, und
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