Das Geheimnis von Turtle Bay
Turtle Bay. Bree wollte am liebsten den Sitz nach hinten klappen und schlafen, doch sie saß kerzengerade auf dem Beifahrersitz und verfluchte die Tatsache, dass Amelia ihre Sonnenbrille nicht mitgebracht hatte. Das Tageslicht, die Geräuschkulisse des Straßenverkehrs – das war alles zu viel für sie.
„Im Moment kümmert sie sich um ihre beiden Jungs“ , antwortete sie und klappte die Sonnenblende herunter. „Sie wird bestimmt bald rüberkommen.“ Ihr war nicht klar, ob sie Cole jetzt die Wahrheit sagen oder warten sollte, bis sie zu Hause waren, damit sie dort ihn und Manny mit ihrem verzweifelten Plan überfiel. Cole hatte ihr zuvor schon geholfen, aber würde er das jetzt wieder machen? Zu ihrer Unentschlossenheit gesellte sich eine Nervosität, die durch Coles Gegenwart, durch seine bloße Nähe zu ihr ausgelöst wurde.
„Bist du schon mal getaucht?“ , fragte sie.
„Nur in meiner Freizeit, aber ich weiß, was zu tun ist. Das letzte Mal war auf Tahiti zum Hochzeitstag. Inzwischen bin ich wieder Single.“
„Tut mir leid.“ Es tat ihr gar nicht leid, doch jetzt war keine Zeit für solche Gedanken.
„Das muss es nicht. Es war so eindeutig am Besten für uns, schließlich hat sie mich ja verlassen.“
Welche Frau würde einen Mann wie ihn verlassen? War die ganze Welt verrückt geworden?
„Briana, du siehst blass aus. Geht es dir wirklich gut?“
„Ja. Ich mache mir nur solche Sorgen. Falls mir schlecht wird, warne ich dich rechtzeitig vor, bevor ich mich in deinem schönen Wagen übergebe.“
Er fuhr eine große burgunderrote Limousine, vermutlich, um seine Kunden zu beeindrucken, da der Wagen so gar nicht zu ihm passte. Weder zu ihm noch zu Turtle Bay. Sie musste feststellen, dass sie über diesen Mann eigentlich kaum etwas wusste.
Das Städtchen Turtle Bay war ein recht abgeschiedener Landstrich, der im Osten an den Tamiami Trail und im Westen an den Golf von Mexiko reichte, während im Norden die Stadt Naples und im Süden Marco Island angrenzten. Turtle Bay hatte man vor vielen Jahren gegründet und dort zwei Fabriken errichtet, die Muschelkonserven herstellten. Beide hatten inzwischen längst ihren Betrieb eingestellt. Moderne Luxuswohnungen mit Meerblick waren bis Turtle Bay noch nicht vorgedrungen, aber viele Einwohner fürchteten, mit einem Casino-Boot könnte diese Idylle zerstört werden. Eine der einstigen Fabriken beherbergte jetzt Secondhandläden und Fischrestaurants, die andere war zu Sam Travers’ Geschäft und Lager umgebaut worden. Touristen und Angler kamen tagtäglich nach Turtle Bay, kehrten aber am Abend in ihre Luxushotels in Naples zurück. Da es sich um eine Gezeitenbucht handelte, waren die Bootsstege des Yachthafens auf hohen Pfählen gebaut worden, was im Übrigen auch für einige der bescheidenen Häuser galt, selbst wenn sie recht weit vom Ufer entfernt standen. An den Stegen war von Schlauchbooten über Yachten bis hin zu Segelbooten in jeder erdenklichen Größe alles vertreten.
Manny wartete vor dem Two Mermaids, die Ladentür stand offen. Zum Glück waren nirgendwo Reporter zu sehen. „Wir gehen nach oben“ , sagte sie nach dem Aussteigen zu den beiden Männern und versuchte, sie möglichst anmutig in den ersten Stock zu führen, obwohl jeder Muskel vor Schmerz zu schreien schien.
Das Apartment über dem Geschäft, das sie sich mit Daria teilte, war geräumig, hell und ansprechend, mit weißen Korbmöbeln, bunten Kissen mit Blumenmuster und einem wundervollen Ausblick auf den Hafen, die Bucht und den Golf. Ohne Daria kam es ihr hier erdrückend vor, daher war sie froh, dass sie nicht allein war.
Sie nahm die Orchidee, die Cole für sie nach oben getragen hatte, und stellte sie auf die Glasplatte des Wohnzimmertischs, auf dem sich Bücher stapelten. Daria hatte hier gesessen und für ihre Bilanzbuchhalterprüfungen gelernt. Sie waren beide zu der Ansicht gelangt, die finanzielle Seite ihres Geschäfts viel zu lange vernachlässigt zu haben. Obwohl sich Manny angeboten hatte, die Buchhaltung zu erledigen, entschieden sie, dass eine von ihnen sich darauf spezialisieren sollte. Daria meldete sich freiwillig, und von der ersten Stunde an war sie Feuer und Flamme. Auf dem College in Miami, das schon ihr Vater besucht hatte, war keine von ihnen auf die Idee gekommen, sich für Accounting oder Betriebswirtschaftslehre zu entscheiden. Vielmehr studierte Bree Sprachen, während Daria ihren Abschluss in Philosophie machte. Daneben jedoch hatten sie selbst
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