Das Geheimnis von Vennhues
Fremder, der zufällig in Vennhues gelandet ist.«
Hambrock schwieg. Er sah an ihm vorbei ins Feuer. Peter war klar, dass der Kommissar an eine solche Möglichkeit nicht glaubte.
»Warum denn nicht?«, hakte er nach. »Man hört doch in den Nachrichten immer wieder davon. Lustmörder, die sich in abgelegenen Landstrichen ihre Opfer suchen. Serientäter, die eine kranke Seele haben.«
Hambrock schüttelte widerwillig den Kopf. »Denkst du, die Polizei hat über diese Möglichkeit nicht nachgedacht? Wir haben uns alle vergleichbaren Fälle angesehen und nach Übereinstimmungen gesucht. Wir haben mit der niederländischen Polizei und später auch mit Europol zusammengearbeitet. Es hat weder in Deutschland noch in den Beneluxländern einen Täter gegeben, auf den das Profil dieser Tat passen könnte. Die Signatur ist eine andere, wir haben nichts Vergleichbares gefunden.«
»Aber es könnte eine einmalige Tat gewesen sein. Oder der Mörder …«
»Peter! Es gibt zahllose Polizisten und Psychologen, die diese Form von Sexualmorden seit Jahrzehnten untersuchen. Wir wissen heute sehr, sehr viel über solche Verbrecher. Und glaub mir, es gibt so gut wie nichts, das auf so einen Fall hindeutet.«
Peter wollte etwas erwidern, doch Hambrock kam ihm zuvor.
»Natürlich ist es möglich, dass ein Fremder eine Einzeltat vollzogen hat. Selbst wenn dieser Fremde weder im Dorf noch an den Grenzübergängen gesehen worden ist. Aber genauso gut könnte Willem von Außerirdischen entführt und ermordet worden sein. Die Wahrscheinlichkeit spricht ganz einfach dagegen.«
Plötzlich konnte Peter es erkennen. Es war in den Augen des Kommissars zu lesen. So klar und deutlich, dass es ihm fast lächerlich erschien. Hambrock hielt ihn für den Mörder. Er zweifelte genauso wenig an seiner Schuld wie die meisten im Dorf.
Peter richtete sich auf. Sein Gesicht verhärtete sich.
»Ich bin in zwei Monaten wieder fort. Am 28. Dezember werde ich mich in Dünkirchen einschiffen, und ich glaube kaum, dass ihr mich danach jemals wieder zu Gesicht bekommen werdet. Ganz egal, was ihr über mich denkt, bis Ende Dezember werdet ihr mich ertragen müssen. Danach ist alles vorbei.«
»Peter, versteh doch …«
Er schnitt ihm das Wort ab. »Nichts muss ich verstehen. Ich bin wegen meines Vaters hier. Alles andere muss mich nicht interessieren.« Er stand auf. »Ich danke für deinen Besuch. Doch jetzt bin ich müde. Ich darf dich also zur Tür bringen?«
Hambrock nickte. »Also gut«, sagte er und erhob sich ebenfalls.
Er zog sich den Mantel über und holte eine Karte aus der Innentasche hervor. »Hier ist meine Telefonnummer. Für alle Fälle.«
Er legte die Karte auf das Tischchen neben dem Herdfeuer und ging zur Tür. Bevor er in die kühle Dämmerung trat, sagte er: »Ich bin neutral, Peter. Was immer du über mich denkst, vergiss das bitte nicht.«
Peter lächelte freudlos. »Natürlich bist du das«, sagte er. »Was denn sonst?«
Dann schloss er die Tür.
7
Mechthild Hambrock hatte in der Küche einen kleinen Imbiss vorbereitet. Zunächst brachte sie ein Tablett mit Tee und Kandis ins Wohnzimmer, dann holte sie eine Platte voller Schnittchen, die sie liebevoll mit Gewürzgurken und Petersilie dekoriert hatte. Ihrem Sohn zu Ehren blieb der Fernseher an diesem Abend ausgeschaltet, und Hambrocks Eltern hockten nun um den ungewohnt stillen Apparat herum und versuchten sich zu geben, als wäre dies eine ganz alltägliche Situation. Sie redeten über das Wetter und die Maisernte, doch mit keinem Wort sprachen sie Hambrock auf seinen Besuch bei Peter Bodenstein an. Im Gegenteil. Der Kommissar hatte zunehmend den Verdacht, seine Eltern wollten das Thema meiden.
Nach dem Essen machte sich die Müdigkeit in seinen Knochen bemerkbar. Mit einem Gähnen blickte er auf die Uhr. Es war beinahe neun.
»Ich denke, ich mache mich nun besser auf den Weg«, sagte er und legte seine Serviette auf den Teller. »Bis ich in Münster bin, wird es zehn Uhr sein.«
Seine Mutter stellte den Teller ab und stand auf.
»Ich werde dir noch ein paar Äpfel einpacken«, sagte sie. »Die ganze Waschküche ist voll davon. Die können wir alleine gar nicht essen.«
Sie lief in den Flur und kramte im Schrank nach einer Tüte. Hambrocks Vater erhob sich ebenfalls. Er trat an das Wohnzimmerfenster und blickte hinaus in den dunklen Himmel.
»Es wird Regen geben heute Nacht«, sagte er.
Hambrocks Mutter hatte offenbar eine Tüte gefunden. Trällernd verschwand sie in
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