Das Geheimnis von Vennhues
der Waschküche und zog die Tür hinter sich zu. Hambrock wollte den Moment nutzen, in dem er und sein Vater allein waren.
»Josef Kemper hat dich besucht, nicht wahr?«, sagte er. »Mutter hat es mir erzählt. Er war an dem Abend hier, an dem Peter wiederaufgetaucht ist.«
Hambrock senior rührte sich nicht. Dann atmete er geräuschvoll aus.
»Ja, das stimmt.« Es schien, als habe er mit der Frage gerechnet.
»Was wollte er von dir?«
Sein Vater wandte sich vom Fenster ab. »Er war sehr aufgeregt. Er meinte, wir müssten gemeinsam etwas unternehmen. Peter sollte von hier vertrieben werden. Zur Not mit Gewalt.« Er schien zu ahnen, was seinem Sohn durch den Kopf ging. »Aber das war wohl nur die erste Aufregung«, sagte er. »In solchen Momenten sagt man sehr viel Unbedachtes. Dinge, die man im Grunde gar nicht so meint. Am nächsten Morgen sieht dann alles wieder anders aus.«
Sein Vater sprach ruhig und bedächtig, und Hambrock spürte, wie eine Distanz zwischen ihnen entstand.
»Was hast du Kemper geantwortet?«
»Gar nichts. Ich habe ihn einfach zetern lassen. Ich glaube, mehr wollte er auch gar nicht. Einfach ein bisschen Luft ablassen. Ich habe nicht einmal richtig zugehört.«
»Aber er wird doch gesagt haben, ob er …«
»Reden wir nicht darüber!«, unterbrach ihn sein Vater. »Josef Kemper war aufgebracht, und das ist nur verständlich. Ich werde nicht dabei zusehen, wie du ihm einen Strick daraus drehst.«
Hambrock blickte ihn verblüfft an. Er wusste nicht, wann sein Vater das letzte Mal ihm gegenüber einen solchen Tonfall angeschlagen hatte. Als wäre er noch immer ein kleiner Junge, der zurechtgewiesen werden musste.
Sein Vater räusperte sich. Dann fuhr er mit betont sanfter Stimme fort: »All diese Geschichten sind unendlich lange her. Es sind genug Tränen geflossen deshalb. Die Sache ist vorbei, und das ist gut so. Lassen wir die Toten ruhen.«
So leicht wollte es Hambrock ihm nicht machen.
»Ich arbeite bei der Mordkommission«, sagte er. »Ich kann die Toten nicht ruhen lassen. Wenn Peter der Mörder von Willem ist, dann muss ich …«
Sein Vater unterbrach ihn mit harter Stimme.
»Werner Bodenstein ist ein alter Mann, der zeit seines Lebens hart gearbeitet hat. Er ist schon viel zu lange ganz allein auf seinem großen Hof. Da ist es gut, dass Peter sich ein wenig um ihn kümmert. Für Werner ist das weit weniger, als er verdient hat. Doch zumindest ist er eine Zeit lang nicht mehr ganz auf sich gestellt.«
Hambrock erhob sich. »Josef Kemper versucht Leute für seine Sache zu gewinnen«, stellte er fest. »Du musst mir sagen, was sie vorhaben. Wollen sie gegen Peter vorgehen? Ist er in Gefahr?«
Hambrock senior bedachte ihn mit einem eisigen Blick.
»Du musst es mir sagen, ich bin bei der Polizei. Wenn sich ein Verbrechen in Vennhues ankündigt, dann darfst du nicht schweigen.«
Doch der alte Mann schüttelte den Kopf.
»Ich habe alles gesagt, was ich weiß.«
Hambrock stieß innerlich einen Fluch aus. Es hatte keinen Zweck.
»Ich werde mich nun auf den Weg machen«, sagte er und griff nach seinem Mantel. »Du kannst ja noch mal drüber nachdenken.«
»Es tut mir Leid, mein Sohn.«
Sein Vater lächelte sanft und liebevoll, und seine Augen schwammen in einem Meer von Falten. Es war ein Versöhnungsangebot.
Hambrock gab sich geschlagen. »Vielleicht kommen Erlend und ich ja Allerheiligen zu Besuch«, sagte er. »Am Nachmittag gibt es doch Kaffee und Kuchen, nicht wahr?«
»Mutter bereitet einiges vor. Ich würde mich freuen, wenn ihr kommt. Der Rest der Familie ist ebenfalls da.«
Auf dem Weg nach draußen drückte ihm seine Mutter eine Stofftasche voller Äpfel in die Hand. Sie und sein Vater begleiteten ihn durch die Tenne hinaus. In der kühlen Herbstluft hatte sich Nebel gebildet. Hambrock blickte zum Weg hinunter, der in die Schnellstraße mündete. Die Sicht schien ausreichend zu sein. Dennoch wusste er, dass auf der Straße auch ganz plötzlich dichte Nebelbänke auftauchen konnten. Er wollte vorsichtig fahren.
Er stieg in seinen Volvo und startete den Motor. Seine Mutter deutete auf die Äpfel, die Hambrock auf die Rückbank gelegt hatte.
»Das sind Boskop«, rief sie. »Du kannst wunderbare Bratäpfel daraus machen. Ich hoffe, du kommst uns bald wieder besuchen. Und bestell Elli einen lieben Gruß.«
»Das mache ich«, sagte er und kurbelte das Fenster hoch.
Sein Vater legte den Arm um seine Frau, gemeinsam standen sie im Tennentor und winkten ihm
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