Das Geheimnis von Vennhues
haben mögen – Willem hatten alle ins Herz geschlossen. Sie konnten gar nicht anders. Er war ein aufgeweckter, freundlicher und lebensfroher Junge. Und natürlich der Sohn von Mia, die nun einmal eine alteingesessene Vennhueserin war. Niemand sonst hätte für diese Tat ein Motiv gehabt.«
»Was ist nach dem Mord aus der Familie geworden?«
Hambrock seufzte. »Der Tod des Jungen war nicht das einzige Unglück.«
Er dachte ungern an die Zeit danach zurück. Dieses Verbrechen, so schrecklich es war, bildete damals nur den Auftakt einer ganzen Kette von Ereignissen.
»Mia van der Kraacht ist über den Tod ihres Sohnes nicht hinweggekommen«, sagte er. »Sie ist in eine tiefe Depression gefallen, von der sie sich nicht mehr erholt hat. Fünf Wochen nach Willems Beerdigung ist sie ihm in den Tod gefolgt. Es war eine neblige Novembernacht, ganz ähnlich wie die heutige. Sie ist im Nachthemd zu der Stelle geirrt, an der ihr Sohn ermordet wurde. Und dann ist sie … ins Moor gegangen.«
Marina Hobe blickte ihn entsetzt an. »Sie hat sich in ein Moorloch geworfen?« Doch sie fand schnell zurück zu ihrer Professionalität. »Es gibt wahrlich angenehmere Formen, aus dem Leben zu scheiden«, fügte sie nüchtern hinzu.
»Der Tod ihres Sohnes hat sie um den Verstand gebracht. Sie hat ihn über alles geliebt.«
»Was ist aus dem Vater geworden?«
»Kai van der Kraacht hat noch einige Zeit in Vennhues gelebt. Doch der Hof verwahrloste, und er konnte das Vieh nicht mehr halten. Über Nacht hat er dann Vennhues verlassen und ist zurück nach Holland gegangen. Die Schwestern Reckenfeld haben lange gebraucht, um ihn ausfindig zu machen. Schließlich fanden sie ihn in Groningen in einer Sozialwohnung. Er hing an der Flasche und soll irgendwann später am Suff gestorben sein, so sagt man. Kontakt hatte am Ende jedoch keiner mehr zu ihm. Heute betreibt Annette Reckenfeld, Mias jüngste Schwester, den Hof gemeinsam mit ihrem Mann. Sie hat einen Vennhueser geheiratet, ebenfalls einen Bauernsohn, und heißt nun Osterholt. Heute erinnert dort nichts mehr an die Familie van der Kraacht und an ihr Schicksal.«
»Peter Bodenstein war nach dem Mord für über zwanzig Jahre verschwunden. Jetzt kommt er zurück, und kurz darauf passiert ein neuer Mord.«
Hambrock nickte. »Das ist richtig.«
»Wo war er in der Zwischenzeit?«
»Er ist zur See gefahren.«
»Zur See gefahren!« Sie schüttelte den Kopf. »Das macht es natürlich nicht gerade leichter. Dennoch sollten wir nachforschen, ob es an den Stationen seines Lebens ähnliche Morde an jungen Männern gegeben hat. Es wäre nicht ungewöhnlich für einen Sexualtäter, wieder und wieder nach dem gleichen Muster zu verfahren. Vielleicht sehen wir uns einmal die Mordfälle entlang seiner Schiffsrouten an.«
»Ich werde das gleich morgen anordnen.«
Marina Hobe nahm einen Schluck Kaffee und blickte nachdenklich durch die farbigen Butzenscheiben auf den Kirchhof.
»Er ist noch in der Nähe«, sagte sie. »Wahrscheinlich bekommen wir ihn noch heute Nacht zu fassen.«
»Wollen wir es hoffen«, sagte Hambrock.
Sie wandte den Blick ab und sah Hambrock direkt in die Augen.
»Weshalb waren Sie eigentlich vor Ort?«, fragte sie. »Ich habe gehört, Ihre Familie wohnt hier im Dorf. Waren Sie rein zufällig zu Besuch?«
Er schüttelte den Kopf. »Jemand hat mich angerufen. So habe ich erfahren, dass Peter Bodenstein zurückgekommen ist. Man hat mich gebeten, nach dem Rechten zu sehen und mit Peter zu sprechen. Der zurückliegende Mordfall ist schließlich einer meiner Altfälle. Ich bin offiziell zuständig.«
»Wer war es, der Sie angerufen hat? Ihre Eltern?«
Hambrock hätte die Antwort auf diese Frage gern für sich behalten. Doch es gab keinen Grund, gegenüber der Staatsanwaltschaft unaufrichtig zu sein.
»Es war Werner Bodenstein«, sagte er.
»Sein Vater?« Sie sah ihn erstaunt an. »Hält der ihn etwa für schuldig?«
»Er hofft, dass Peter unschuldig ist«, sagte er.
»Und wieso ruft er Sie dann an?«
»Werner Bodenstein kennt mich, seit ich ein kleiner Junge bin. Ich vermute, er denkt, dass ich vorbehaltlos bin. Er hofft, dass ich die Wahrheit herausfinden werde – ganz egal, ob Peter nun unschuldig ist oder nicht. Nach all den Jahren will auch er Klarheit haben.«
»Und dann geschieht ein neuer Mord.« Marina Hobe seufzte. »Nicht leicht für einen Vater.«
»Nein, ganz sicher nicht.«
Jenseits der Butzenscheiben bewegten sich flackernde Blaulichter. Ein Gruppenwagen
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